Frauen und Männer reagieren unterschiedlich auf Stress, wobei aktuelle neurowissenschaftliche Untersuchungen gängige Geschlechterstereotype nur zum Teil bestätigen.

Entscheidende Faktoren sind vielmehr der Selbstwert, die Hormone und der Umgang mit Stress, wie ein Projekt des Wissenschaftsfonds FWF belegt.

Wie Menschen Stress empfinden ist subjektiv. Auch das Geschlecht spielt dabei eine wesentliche Rolle. Aus wissenschaftlichen Untersuchungen ist bekannt, dass etwa das Stresshormon Kortisol bei Frauen und Männern unterschiedlich aktiviert wird. „Stress wird von vielen Faktoren beeinflusst“, betont Birgit Derntl von der Eberhard Karls Universität Tübingen. Um die Zusammenhänge besser zu verstehen, hat die Psychologin und Professorin am Centrum für Integrative Neurowissenschaften die Stressreaktion von Frauen und Männern auf Basis subjektiver, hormoneller und neuronaler Untersuchungen analysiert.

SUBJEKTIVES EMPFINDEN VS. HORMONREAKTIONDass etwa das subjektive Empfinden bei Stresserlebnissen nicht zwangsläufig mit den Reaktionen des Körpers übereinstimmen muss, ist eine von mehreren Erkenntnissen, die das Team um Projektleiterin Derntl in einem vom Wissenschaftsfonds FWF durchgeführten Projekt gewonnen hat. In dem Projekt wurden Probandinnen und Probanden vor zwei Aufgaben gestellt: Erstens wurden sie Leistungsstress ausgesetzt, indem sie Rechenaufgaben zu lösen hatten, deren Ergebnisse jedoch nicht evaluiert wurden. Zweitens untersuchten die Forscherinnen und Forscher den Stressfaktor „soziale Ausgrenzung“ mittels des sogenannten Cyberball-Paradigmas – ein virtuelles Ballspiel. „Beide Geschlechter haben die Aufgaben als aufreibend erlebt, egal wie gut die Leistung war“, so Derntl zum subjektiven Empfinden. Doch das Kortisol stieg nur bei den Männern an, nicht bei den Frauen. Die Forschung hat inzwischen immer mehr Belege dafür, dass Stress nicht unbedingt einen Kortisolanstieg zur Folge haben muss. „Doch warum das so ist, dazu gibt es noch viel Klärungsbedarf“, betont Derntl.

NEURONALE KORRELATE VON STRESS. Ein wichtiger Schritt, um einer Antwort näher zu kommen, führt die Forscherinnen und Forscher zu der Frage, wie das Gehirn auf Stress und auf erhöhte Hormonspiegel reagiert – und wie das alles letztlich zusammenhängt. Birgit Derntl ist eine der ersten, die sich neben den Hormonmessungen auch die Gehirnaktivität bei der Verarbeitung von Stress unter Berücksichtigung des Geschlechteraspekts angesehen hat. Entsprechend des erhöhten Kortisolspiegels bei den Männern zeigten deren Gehirnscans auch eine stärkere Aktivierung  derjenigen Areale, die mit Aufmerksamkeit in Verbindung gebracht werden, während bei den Frauen diese Areale kaum aktiv waren. „Was dafür spricht, dass die Art und Weise, wie wir mit solchen Aufgaben umgehen, unterschiedlich ist“, so die Psychologin. „Was wir aber beim sozialen Stresstest gesehen haben ist, dass bei den Frauen Progesteron angestiegen ist, bei den Männern das Testosteron“, so Derntl zu den Projektergebnissen.  Es gibt Hinweise darauf, dass das Hormon Progesteron für die Zugehörigkeit zu einer Gruppe wichtig ist. „Der Anstieg könnte die Verunsicherung bei Frauen ausdrücken“, sagt Derntl.

EINFLUSS DES SELBSTWERTSEin weiterer Faktor, den sich die Forschergruppe näher angesehen hat, war der Selbstwert. Dieser wurde zunächst per Fragebogen erhoben. Das Ergebnis: Selbstbewusstsein spielt im Umgang mit Stress eine wichtige Rolle. Er führt sowohl bei Frauen als auch bei Männern zu unterschiedlichen Reaktionen. Wenig selbstbewusste Frauen zeigten Aktivität in kognitiven Kontrollarealen des Gehirns. Es stand also das Ziel im Vordergrund, die Aufgabe gut zu erfüllen. Bei Männern waren Areale aktiviert, die in Verbindung mit Selbstbezug und Emotionen stehen.

UMGANG MIT STRESS. In einer weiterführenden Studie konnte das Team des Universitätsklinikums Tübingen auch bereits mehr darüber erfahren, wie Stress individuell verarbeitet wird. Dazu wurden Probandinnen und Probanden wiederum Leistungsaufgaben gestellt, die anschließend auch sozial bewertet wurden. Gleichzeitig wurden die Personen aufgefordert, sich durch negative Gefühle während der Bewältigung der Aufgabe nicht zu belasten. Dies führte zu einer erhöhten subjektiven Stressreaktion bei Frauen im Vergleich zu Männern. Diese spiegelt sich auch in den Gehirnarealen wider, die für Aufmerksamkeit, Emotionen und Belohnung relevant sind. „Entgegen unserer Erwartung sind die Frauen mit der Aufgabe, Emotionen zu kontrollieren, nicht so gut zurechtgekommen“, so Birgit Derntl.

Die Untersuchungen weisen jedenfalls darauf hin, dass der Zusammenhang zwischen Stresshormonen und Gehirnaktivität geschlechtsspezifische Effekte aufweist, die für die Stressreaktion und den Umgang mit Stress entscheidend sein können. Im Übrigen, betont die Stressforscherin, seien die fast ausschließlich negativen Konnotationen mit dem Begriff „Stress“ zu hinterfragen. Stress könne auch, solange er nicht chronisch wird, etwas sehr Positives und Motivierendes sein, wie Birgit Derntls empirische Untersuchungen untermauern.

 

Foto: KKH