Fußdeformitäten können auch Beschwerden in Knie, Hüfte und Rücken auslösen

Anfangs spürt man es nur in schmalen High Heels: den schmerzhaften Druck aufs Großzehengrundgelenk oder auf einen der kleinen Zehen. Doch schon jede dritte 20-Jährige zeigt Ansätze eines Hallux valgus, was viele aber nicht davon abhält, weiterhin auf hohen Absätzen einherzuschreiten. Spätestens in den Vierzigern greifen dann viele Betroffene vermehrt zu bequemeren Schuhen, um sich beschwerdefrei fortbewegen zu können. Und irgendwann tut’s auch in Sportschuhen empfindlich weh …

Falsches Abrollen schädigt den gesamten Bewegungsapparat. Was die meisten Betroffenen nicht wissen: Ob Spreizfuß, Knicksenkfuß oder eben Hallux Valgus – zunehmende Fußfehlstellungen können der wahre Grund für Schmerzen in den darüber liegenden Gelenken wie Knie oder Hüfte oder in der Wirbelsäule sein. „Jede künstliche Stellung der Füße, wie sie etwa durch einen Hallux valgus entsteht, hemmt die natürliche Abrollfunktion beim Gehen. Verstärkt wird das veränderte, unnatürliche Auftreten noch durch die Schonhaltung, die viele aufgrund ihrer Beschwerden einnehmen.

Dr. GfrerrerDieses biomechanische Defizit muss dann ständig über Knie, dann über die Hüfte und schließlich über die Lendenwirbelsäule ausgeglichen werden“, erklärt der Orthopäde Dr. Andreas Gfrerrer, Oberarzt am Evangelischen Krankenhaus-Wien. Und das bleibt üblicherweise nicht ohne Folgen: „Das stets falsche Auftreten kann mit der Zeit zu Ischiasbeschwerden oder zu starken, chronischen Rückenschmerzen führen. Bleiben Röntgen oder MRT ohne nennenswerten Befund, sollte man immer auch einen genauen Blick auf die Vorfüße der Patientin werfen“, berichtet Wirbelsäulenspezialist Dr. Alexander Kraft.

Was man dagegen tun sollte. Vorfußdeformitäten wie Hallux valgus oder Hallux rigidus müssen daher behandelt werden, und zwar bevor das Gehen selbst in guten Comfortschuhen nur mehr unter Qualen möglich ist. Im Frühstadium können – je nach Ursache und Ausprägung der Fußfehlstellung – konservative Behandlungen wie spezielle Schuheinlagen, Nachtschienen, druckentlastende Filzringe, Orthesen und Zehengymnastik die Symptome lindern und Schäden in den oberen Gelenken vorbeugen. Auch viel Barfußgehen und die Wahl breiter, weicher Schuhe mit gutem Fußbett helfen.

Wann ein operativer Eingriff angesagt ist. Nachhaltige Schmerzfreiheit schafft allerdings in vielen, vor allem fortgeschrittenen Fällen nur eine operative Korrektur. Eine solche ist auch wichtig, um Funktionalität und anatomische Form des Fußes wiederherzustellen und um Knie, Hüfte und Lendenwirbelsäule nicht weiter über Gebühr zu belasten. Oberarzt Andreas Gfrerrer: „Entzündet sich der nach außen getretene „Frostballen“ immer wieder schmerzhaft oder kommt es durch den Druck der zur Seite weichenden Großzehe zu Hammer- oder Krallenzehen, ist eine operative Korrektur unumgänglich.“

Beim Hallux Valgus stehen zahlreiche Operationstechniken zur Verfügung. Eine sehr bewährte Methode mit hoher Patientenzufriedenheit ist etwa der minimal-invasive Eingriff nach Dr. Bösch. Dabei wird über zwei winzige Einstiche durchs Schlüsselloch korrigiert. Diese müssen nur zugeklebt werden, wodurch der Fuß narbenfrei bleibt. „Diese OP-Technik ist im Vergleich zu anderen Methoden kürzer und ist auch in Lokalnarkose machbar. Wird gleichzeitig eine Hammerzehe korrigiert, dauert der Eingriff naturgemäß etwas länger“, erläutert Spezialist Andreas Gfrerrer. Die Entscheidung über die jeweilige Behandlungsart muss allerdings patientenindividuell erfolgen.

Das Leben „danach“. Wird etwa nach der Dr. Bösch-Methode operiert, kann der Fuß gleich nach dem Eingriff in einem Schuh mit sehr steifer Sohle wieder voll belastet werden. Längere Märsche sollte man aber in den ersten 6 Wochen noch vermeiden, um den Vorfuß zu schonen. High Heels allerdings sollten künftig tabu sein, damit sich der Fuß durch Fehlbelastungen nicht irgendwann wieder verformt und Folgeschmerzen auch in den oberen Gelenken hervorruft.

Fotos: M.Rosegger, A.Gfrerrer

Titelbild: Patientin Christa Fumics: 4 Monate nach Eingriff am rechten Vorfuß wieder unbeschwert unterwegs

 

Hintergrund-Info:

Hallux valgus – ein Volksleiden

 Hallux valgus, die lateinische Bezeichnung für schiefe Großzehe, ist zu einem echten Volksleiden geworden. Ernsthaft betroffen sind rund 40% aller über 65-Jährigen, darunter vorwiegend Frauen. In den letzten Jahren steigt allerdings der Männeranteil an. Selbst bei Kindern und Jugendlichen finden sich heute zunehmend die charakteristischen Zehendeformierungen. Beim Hallux valgus handelt es sich um eine sichtbare Verschiebung der Großzehe nach innen. Hauptursachen sind eine erblich bedingte Bindegewebsschwäche sowie das jahrelange Tragen zu hoher, zu harter und zu enger, bzw. zu kleiner Schuhe. Bei manchen stellt die zunehmende Zehenfehlstellung nur eine optische Beeinträchtigung dar. Für die Mehrzahl der Betroffenen geht die zunehmende Vorfußdeformität aber mit immer stärker werdenden Beschwerden einher. Diese betreffen oft nicht nur das nach außen tretende Großzehengrundgelenk (den so genannten Frostballen). Die fortschreitende Schiefstellung der Großzehe bewirkt einen „Dominoeffekt“ und drückt die kleineren zusammen, wodurch sich sehr schmerzhafte Hammer- oder Krallenzehen bilden können.