Der Gedanke auf Gekochtes zu verzichten und alles roh zu essen, macht vielen von uns gar keinen Appetit. Trotzdem ist Raw Food nach wie vor der Riesenrenner in den USA. Grund genug den Trend unter die Lupe zu nehmen.

Die US-amerikanische High Society schwört aus Schönheitsgründen schon seit Jahren auf Rohkost. Allein in Los Angeles gibt es vierzig Raw Food Restaurants. Im deutschsprachigen Raum gibt es sogar seit 2008 eine eigene Rohkost Messe namens „Rohvolution“. Doch was genau wird unter Rohkost verstanden? Sind die Kriterien derer, die Raw Food als die „einzig wahre Ernährungsform“ propagieren im Alltag umsetzbar und ist es wirklich so gesund und sogar Heilmittel für diverse Krankheiten? Für wen ist diese Kostform geeignet und wer sollte lieber die Finger davon lassen? Das wollten wir genauer wissen und die Meinung von Ernährungswissenschaftlern hinzuziehen. Ein kontroversieller Überblick.

Was ist Rohkost? Die Meisten denken bei Rohkost zuallererst wahrscheinlich an Salat oder kleingeschnipseltes Gemüse oder erinnern sich an die alte Ernährungsweisheit, Rohkost nie nach 17 Uhr zu essen, da es Blähungen verursacht. Für viele ist der Begriff negativ besetzt und wird mit Verzicht und eintönigem Essen verknüpft. In unseren weitreichenden Recherchen sind wir auf verschiedene Definitionen von Rohkost gestoßen. Die grundsätzliche Idee war und ist, die verwendeten Nahrungsmittel möglichst im Naturzustand zu essen, um der Zerstörung empfindlicher Inhaltstoffe durch Erhitzen entgegen zu wirken (z.B. Vitamin C und für den Körper wichtige Enzyme).

Zu den bekanntesten Rohkost-Varianten gehören die Urkost nach Franz Konz (vegan), – sie setzt neben der Früchterohkost auf Wildkräutern und Wildgemüse – , weiter die Sonnenkost nach Helmut Wandmaker. Sie ist vegetarisch mit Betonung auf den Verzehr von Früchten. Guy-Claude Burger propagiert die Instinctotherapie, danach wäre zumindest alles erlaubt was im Naturzustand gut riecht und schmeckt, auch Flesich und Fisch und Milchprodukte sind da möglich. Fit for Life nach Harvey und Marilyn Diamond sprechen sich ebenfalls für vegane Rohkost aus. Laut lexikalischer Definition wird Rohkost als pflanzliche, ungekochte Kost verstanden. Laut Brockhaus ist Rohkost nur Bestanteil einer ausgewogenen Mischkost und keine eigene Ernährungsform, da sie zu einseitig ist und zu Mangelerscheinungen führen kann. Allerdings hat Rohkost durch den hohen Gehalt an Vitaminen und Mineralstoffen eine gesundheitsfördernde Wirkung und wird vor allem für kranke Menschen propagiert. Von einer Dauerernährung wird aber abgeraten. Vor allem Schwangere, Stillende und Kinder sollten auf reine Rohkost als Ernährungsform verzichten.

Seit wann gibt es Rohkost? Doch wie ist Rohkost eigentlich als Ernährungsform entstanden? Rohkost geht auf Maximilian Oskar Bircher-Benner, den Erfinder des Birchermüslis, zurück. Als er eine magenkranke Frau behandelte, entwickelte er Rohkost als Diätform und nicht als Dauerernährung, also nur temporär. Er war der Ansicht, dass rohe pflanzliche Nahrung wertvoller sei als gekochte. Die Auswirkung von Rohkost als Dauerernährung wurde in der Gießener Rohkoststudie zwischen 1996 und 1998 erforscht. Das Ziel war es, die verschiedenen Richtungen der Rohkost und die Gesundheit der Teilnehmer zu erfassen. Die Studienteilnehmer mussten sich zu mindestens 70 Prozent von Rohkost (hauptsächlich Obst und Gemüse in unerhitzter Form) über ein Jahr lang ernähren. Nach Beendigung der Studie waren 57 Prozent der Teilnehmer untergewichtig, Männer haben nach vier Jahren zehn Kilogramm verloren, Frauen sogar 12. Frauen litten an Amenorrhoe (Ausbleiben der Menstruation), als Folge einer Unterernährung. Die Zufuhr von vielen Vitaminen lag über den empfohlenen Richtwerten. Allerdings wurde bei Vitamin B12, Calcium, Zink und Jod ein deutlicher Mangel festgestellt. 43 Prpzent der Männer und 15 Prozent der Frauen litten an Blutarmut (Anämie). Es wurde der Schluss gezogen, dass eine fast ausschließliche Rohkosternährung aus Gesundheiutsgründen nicht zu empfehlen ist.

Das amerikanische Rohkostkonzept. Eine, die sich seit Jahren mit der rohköstlichen Lebensweise beschäftigt ist Judita Wignall. Sie ist Schauspielerin, Model und ausgebildete – wo, haben wir leider nicht erfahren – Rohkost-Köchin. Gesundheitliche Probleme, wie ständige Müdigkeit, Akne und Kopfschmerzen führten die Amerikanerin zur Rohkost. In ihrem Buch „Raw & Simple“ zeigt die überzeugte Rohköstlerin die Vorteile der Rohkosternährung auf, gibt Tipps für die Umstellung und präsentiert vegetarische Rezepte. Rohkost ist für sie alles, „was nicht über 48° Grad erhitzt wird und nicht durch chemische Zusätze, Pasteurisierung oder Bestrahlung haltbar gemacht und verändert wurde“. Für sie ist es wichtig, die Nahrung so naturbelassen wir möglich zu lassen, um möglichst 70 bis 90 Prozent Nährstoffgehalt und hitzeempfindliche Vitamine und Enzyme zu erhalten. Die Nahrungsmittelgruppen der Rohkost sind nach Wignall natürlich Gemüse und Obst, aber auch Nüsse, Samen und Algen. Milchprodukte finden sich in ihren Rezepten keine, da sie eine pflanzliche Ernährung für gesünder empfindet, da es den Körper leicht basisch hält.

Hält Rohkost jung? Rohkost soll einige wichtige Vorzüge für den Körper haben – es reinigt ihn, schenkt uns mehr Energie und die Verdauung funktioniert besser. Das Immunsystem wird durch Vitamin C und antioxidative Pflanzenstoffe angeregt. Es gibt keinen Blähbauch – man fühlt sich nicht schlapp. Ein weiterer positiver Nebeneffekt ist ein leichterer Gewichtsverlust, durch die kalorienarme und ballaststoffreiche Kost. Der Alterungsprozess verlangsamt sich und das Risiko altersbedingte Krankheiten zu entwickeln sinkt. Durch den Verzehr von Rohkost nehmen wir außerdem auch keine Schadstoffe, wie Zucker, Konservierungs- und künstliche Farb- und Geschmacksstoffe zu uns. Die Meinung vieler Ärzte, Rohkosternährung führe zu Mangelerscheinungen, teilt Judita Wignall nicht. Dennoch empfiehlt sie Methylcobalamin als Tropfen oder Tabletten zu sich zu nehmen, um einem Vitamin B12 Mangel vorzubeugen. Andere Nachteile von Rohkost finden sich bei Wignall aber keine. Weiters befürwortet sie eine schrittweise Ernährungsumstellung, da sich sonst Entgiftungserscheinungen, wie Kopfschmerzen, Heißhunger, Stimmungsschwankungen und Müdigkeit zeigen.

Das deutsche Rohkostkonzept. Ganz anders als Judita Wignall sieht Dr. Urs Hochstrasser, Pionier der „neuen“ Raw Food Bewegung eine Ernährungsumstellung. Hochstrasser ist gelernter Koch, Ernährungsberater und Verhaltenspsychologe, hält nichts von einer schrittweisen Ernährungsumstellung, da der Entgiftungsprozess länger dauert als bei einem Radikalumstieg. Er selbst ernährt sich nur von ungekochte Speisen, er ist davon überzeugt, dass wir von lebendiger Nahrung besser leben können. Auf seinem Ernährungsplan finden sich Obst und Gemüse, aber auch Samen und Keimlinge. Auf Milchprodukte verzichtet er und substituiert sie durch Mandelpüree, aus der sich Milch und Sahne herstellen lassen. Die Zubereitung der Speisen ist nicht aufwändig und geht schneller als beim Kochen, was ideal für kochfaule Menschen sei. Seiner Ansicht nach ist Rohkost die Ur-Ernährungsform, im Laufe der Evolution haben sich die Menschen an die gekochte Kost nicht angepasst. Er meint, genau deshalb ist das rohe Essen auch besser verdaulich, obwohl viele Ärzte die gegenteilige Meinung vertreten.

Verdauungsturbo- oder Darmkiller? Hochstrasser erklärt die schnellere Verdauung so: der Vorgang ist sehr komplex, Faserstoffe helfen uns, die Nahrung durchzuschleusen. Durch rohes Essen kommt man schneller in Fahrt, beim Kochen hingegen werden viele Stoffe zerstört, was die Verdauung erschwert. Udo Pollmer, Lebensmitteltechniker und Buchautor sieht das etwas anders – Abwehrstoffe gegen Fraßfeinde von Pflanzen und Rohkost verursachen Verdauungsbeschwerden. Bestandteile roher Nahrung, die nicht verdaut werden können, vergären im Magen, langfristig kann auch die Darmschleimhaut geschädigt werden. Nachteile einer Dauerernährung mit Rohkost sieht Hochstrasser keine, dafür aber unzählige Vorteile – man ist leistungsfähiger, fühlt sich vitaler und nicht mehr müde. Es gibt keine Stoffwechselprobleme, das Hautgewebe verbessert sich und unschöne Cellulite verschwindet, das dürfte zumindest viele Frauen freuen.

Zahlreiche Vorteile der Rohkosternährung sieht auch Chantal-Fleur Sandjon, die mit ihrem Buch „Rohvolution“ für Gesprächsstoff sorgte. Darin beschreibt sie Rohkost als die natürlichste Form des Abnehmens. Begründung: man muss keine Kalorien zählen! Und: leere Kalorien aus weißem Zucker und Mehl würden wegfallen und der Körper würde mit richtigen Nährstoffen versorgt werden. Wie bei Hochstrasser gehört für sie zu Rohkost alles, was roh gegessen werden kann – selbstverständlich vegan. Allerdings ohne Kartoffel und Bohnen, diese werden bewusst weggelassen. (Anmerkung der Redaktion: roh konsumiert sind diese nicht nur ungenießbar sondern auch giftig. Die enthaltenen Toxine wie Solanin, Phasin werden erst durch Hitze, also beim Kochen unschädlich und die enthaltenen wichtigen Nährstoffe werden erst dadurch resorbierbar.) Generell gilt für Sandjon, dass Rohkost für jeden geeignet ist, jedoch muss man bedenken, dass Ernährung grundsätzlich von gesundheitlichen Vorbedingungen und möglichen Unverträglichkeiten abhängt. Menschen mit einem empfindlichen Magen könnten Schwierigkeiten bei der Verdauung einer hohen Menge an Rohkost bekommen. Für Laktoseintolerante ist eine Rohkosternährung hingegen eine optimale Lösung, da Milchprodukte weggelassen werden.

Unser Resumé. Rohkost als Ernährungsform sei so alt wie die Menschheit selbst – diesen Vergleich hört man von Rohköstlern oft. Wir sprechen hier jedoch von einer ganz anderen Zeit – nämlich der Steinzeit, die mit heute in nichts zu vergleichen ist. Es gab sicher nicht die Lebensmittel, die wir heute essen. Bedenklich stimmt auch, dass all jene, die Rohkost als Wundermittel anpreisen, die eine oder andere Nahrungsergänzungsmittel empfehlen – das passt nicht zusammen. Ob es wirklich gesund oder ungesund ist, ist bis heute ungeklärt, da es an Studien abgesehen von der Gießener Rohkoststudie mangelt. Für Menschen die sich nicht mit Ernährung beschäftigen ist von veganer Rohkost (keine tierischen Produkte wie Fleisch, Milch, Käse, Honig usw.) als Dauerernährung abzuraten. Besser geeignet ist Mischkost mit wenig Fleisch und einem hohen Anteil an Obst und Gemüse. Als tägliche Beilage ist Rohkost ein empfehlenswerter Bestandteil der vollwertigen Ernährung.

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Von Genas liebsten Grundrezepten wie selbst gemachter Pflanzenmilch oder Rohkostnudeln mit verschiedenen Soßen spannt sich der Bogen über verschiedene grüne Säfte, Snacks wie Cale-Chips und Powerbällchen, 20 verschiedene Dips und Dressings bis hin zu einer großen Sammlung von Rezepten für Frühstück, Mittag- und Abendessen. Hier finden sich so ausgefallene Gerichte wie rohköstliches Bircher-Müsli, Spargel-Quinoa-Sushi, Erbsen-Hummus-Tartines oder Wurzelgemüse ‚‚Rohvioli“. Natürlich darf auch der süße Genuss nicht zu kurz kommen. Mit einem Stück Heidelbeer-Käsekuchen, einer Schale Karamell-Kokos-Eiscreme oder einer Dose leckerer Schokoladenkekse macht gesunde Ernährung gleich doppelt so viel Spaß. Entscheiden Sie sich mit Gena immer häufiger für Rohkost und bringen Sie alle Farben der Natur auf Ihren Teller.

Titelfoto: pixabay/silviarita