Wenn man sich auf diversen Websites und Social-Media-Plattformen so umsieht, könnte der Eindruck entstehen, dass nicht rechtschreiben zu können, heutzutage keine peinliche Angelegenheit mehr ist. Aber ist es tatsächlich belanglos, wie man schreibt? Wir haben bei einer Germanistin und Expertin für Erfolg durch Sprachwirkung nachgefragt, die als Texterin, Lektorin und Korrektorin ständig mit diesem Thema konfrontiert wird.

WELLNESS: Ist es noch wichtig, die Rechtschreibung zu beherrschen?

Pamela Obermaier: Meiner Ansicht und Erfahrung nach ist es das, ja! Weil Sprache ein Code ist, durch den wir uns miteinander verständigen, hat Rechtschreibung eine kommunikative Bedeutung. Wer sich nicht an die Regeln dieses Codes hält, kann deshalb schnell missverstanden werden.

WELLNESS: Haben Sie vielleicht ein konkretes Beispiel, damit man sich das besser vorstellen kann?

Pamela Obermaier: Natürlich, gern: Stellen Sie Sich vor, Sie würden auf dem Beipackzettel eines Ihnen verschriebenen Medikaments die Anweisung „Nehmen Sie die Arznei in Massen ein!“ vorfinden. Wenn wir davon ausgehen, dass der Verfasser sich an die Regeln der Rechtschreibung gehalten hat, wird es unproblematisch sein, viel davon einzunehmen. Was wäre aber, wenn es eigentlich heißen sollte, dass dieses Mittel nur in Maßen eingenommen werden darf, weil es in Massen gefährliche Nebenwirkungen haben könnte? Sie sehen schon: Die S-Regel macht den Unterschied in der Bedeutung!

WELLNESS: Welche Rechtschreibfehler fallen Ihnen im Alltag am häufigsten auf?

Pamela Obermaier: „Herzlich willkommen“ wird unheimlich häufig falsch geschrieben, nämlich mit einem großen W, wo keines hingehört, weil „willkommen“ ja ein Adjektiv ist und man Adjektive kleinschreibt. Alternativ könnte man das Wort substantivieren und dann „Ein herzliches Willkommen!“ schreiben, aber die klassische Begrüßungsformel muss mit einem kleinen w geschrieben werden. Und die fehlenden Durchkopplungsbindestriche u.a. bei der Aneinanderreihung von Substantiven („Service Hotline“ statt richtig „Service-Hotline“) begegnen mir praktisch überall: Zeitungsartikel und Blogs sind voller Fehler, Werbematerial ebenso. Ich denke, dass das auch den Ottonormalverbraucher verwirrt: dass nicht mal in den Medien, die ja eine Vorbildwirkung haben sollten – und diese früher auch eingenommen haben – Wert darauf gelegt wird, möglichst fehlerfreie Texte zu produzieren.

WELLNESS: Gibt es auch verbreitete Grammatikfehler?

Pamela Obermaier: Ja, leider gibt’s nicht nur die Orthografie, sondern sogar die Grammatik betreffend Fehler, die sich immer mehr durchsetzen: Durch Social-Media-Beiträge hat sich etwas viral verbreitet, von dem mir die Information dazu fehlt, wer warum damit angefangen hat: ein falscher Imperativ bei immer mehr Wörtern. Da werden Formen erfunden, die es so im Deutschen gar nicht gibt: „Bewerbe dich!“ statt „Bewirb dich!“, wie es richtig heißen muss, wäre ein Beispiel. Der richtige Imperativ von „lesen“ ist nicht „lese“, sondern „lies“, der Imperativ von „sehen“ lautet nicht „sehe“, sondern „sieh“ und jener von „sprechen“ ist nicht „spreche“, sondern „sprich“, um an dieser Stelle ein bisschen Aufklärungsarbeit zu leisten. Sogar auf dem Plakat eines namhaften Filmproduktionsunternehmens hab ich mal „Durchbreche die Zeit!“ gelesen, wo es „durchbrich“ hätte heißen müssen.

WELLNESS: Gab es immer schon so viele, die sich mit der Rechtschreibung schwergetan haben oder denen sie einfach egal war?

Pamela Obermaier: Ob es früher tatsächlich weniger schlimm war, lässt sich nur schwer beantworten, aber es sieht zumindest fallweise so aus, als würde die Rechtschreibung in der Schule nicht mehr mit derselben Vehemenz bzw. Kompetenz von Seiten des Lehrpersonals durchgenommen werden – natürlich gibt es auch Ausnahmen. Fakt ist jedenfalls: Heutzutage sehen wir uns mit wesentlich mehr Beweisen für Fehltritte und Irrtümer konfrontiert, weil durch das Verfassen von E-Mails und die Beiträge auf Social-Media-Plattformen so viele Texte wie nie zuvor öffentlich zugänglich sind. Rechtschreibschwächen wie das/dass-Fehler, falsche oder gar keine Beistriche und individuelle Schreibweisen einzelner Wörter sind damit naturgemäß einfach sichtbarer denn je.

WELLNESS: Interessieren sich die Menschen nicht dafür, weil es keine Konsequenzen hat, nicht rechtschreiben zu können?

Pamela Obermaier: Das kann ich nicht beurteilen – allerdings weiß ich, dass es durchaus schwere Konsequenzen haben kann: Ein nicht gesetzter Beistrich hat etwa eine Versicherung mal viel Geld gekostet. Ich erzähl den Fall gern kurz: Ein Mann hatte eine Unfallversicherung auf Dauerinvalidität abgeschlossen. Eines Tages wurde er bei einem Fußballspiel von einem Ball auf der Brust getroffen, erlitt eine schwere Prellung und davon ausgelöst einen Herzinfarkt, der ihn zu einem 80-Prozent-Invaliden machte. Infolgedessen beantragte er die Auszahlung der Versicherungssumme. Der Vertragspartner lehnte ab und verwies darauf, dass ein Herzinfarkt nicht als Unfallfolge, sondern nur als Unfallursache versichert sei. In den Versicherungsbedingungen hieß es wörtlich: „Herzinfarkt ist als Unfallursache nicht aber als Unfallfolge versichert.“ Das Gericht entschied im Sinne des Klägers, da dieser Satz kein Komma enthielt und daher in seiner Aussage nicht eindeutig war, sondern auf zwei Arten gelesen werden konnte: Einerseits könnte die Aussage meinen, dass Herzinfarkt als Unfallursache, nicht aber als Unfallfolge versichert sei, andererseits, dass Herzinfarkt als Unfallursache nicht, jedoch als Unfallfolge versichert sei. Je nachdem, wo der fehlende Beistrich gesetzt wird, ergibt sich entweder die Leistungsfreiheit oder die Leistungspflicht durch die Versicherung.

Gerade bei Unternehmern ist die Fehleinschätzung in Bezug auf die Wichtigkeit der Rechtschreibung wie ein Eigentor: Es wird viel Geld in ein Logo, eine Marketingstrategie, das richtige Büro gesteckt – und dann kann all das nicht wirken oder gar glänzen, weil die Texte einem die Haare zu Berge stehen lassen. Von der Form auf den Inhalt zu schließen, ist aber nun mal menschlich. Oder haben Sie sich noch nie dabei ertappt, eine ungepflegt wirkende Person insgeheim für undiszipliniert und faul zu halten? Potentiellen Kunden geht es genauso, wenn sie in einem Werbefolder keinen richtigen Satz vorfinden. Das kann schon eine Entscheidungsgrundlage bilden.

WELLNESS: Es hat aber für den Durchschnittsbürger keine Nachteile, wenn jemand Texte mit vielen Rechtschreibfehlern verfasst?

Pamela Obermaier: Doch, unter Umständen kann es die schon haben: Von diversen Firmenchefs und HR-Mitarbeitern weiß ich etwa, dass Bewerbungsschreiben mit Rechtschreibfehlern, die eindeutig keine Vertipper sind, aussortiert werden – jemand, der so eine Bewerbung abgegeben hat, wird oft gar nicht erst zum Vorstellungsgespräch eingeladen. Das „Orthografie interessiert mich nicht“-Syndrom kann einen demnach durchaus die Arbeitsstelle kosten.

WELLNESS: Aber ist das nicht unfair?

Pamela Obermaier: Womöglich ist es das, aber Personaler müssen Bewerber aussieben, wo es zu viele für nur einen Posten gibt – und welche Parameter sie dafür verwenden, ist natürlich ihrer Erfahrung geschuldet. Und weil die Haltung, auf die Rechtschreibung zu pfeifen, als Zeichen für Respektlosigkeit oder fehlende Professionalität gewertet werden kann, ist sie oft eines der Kriterien.

WELLNESS: Inwiefern hat das etwas mit Respektlosigkeit zu tun?

Pamela Obermaier: Weil ein Text voller Fehler den Leser dazu zwingt, sich länger als üblich damit aufzuhalten. Und HR-Beauftragte wissen, dass ein durchgängiges Falschschreiben oft nicht vordergründig ein unveränderbares Unwissen widerspiegelt, weil die Rechtschreibung ja durchaus erlernt werden kann. Es lässt viel eher auf eine Form von Ignoranz gegenüber dem eigenen Schriftbild – und eben auch auf fehlenden Respekt vorm Rezipienten – schließen. Interessanterweise zeigen sich oft die gleichen Leute, die auf die Rechtschreibung pfeifen, empört, wenn auf einem Tischtuch Essensreste kleben, Lippenstiftspuren am Weinglas zu sehen sind, jemand mit offenem Mund Kaugummi kaut oder sich in der U-Bahn der Schweißgeruch eines anderen Fahrgasts verbreitet. Gutes Benehmen und ein gepflegtes Äußeres kommen eben nie aus der Mode – und das gilt auch für ein ebensolches Schriftbild, denn ein Text ist ja auch nichts anderes als eine Visitenkarte, die für einen ersten Eindruck sorgt.

WELLNESS: Warum legen dann aber so wenige Wert darauf, dazuzulernen oder ihre Texte zumindest von Profis korrigieren zu lassen?

Pamela Obermaier: Ich glaube, dass das Bewusstsein dafür einfach fehlt. Diesbezüglich wäre eine soziologische Studie sicherlich spannend! Manchen ist gar nicht klar, wie schlecht sie die Rechtschreibung beherrschen, manchen fehlt die Einsicht darin, warum das wichtig wäre, und manche verlassen sich auf andere, die von sich behaupten, gut darin z sein. „Ich kann es selbst zwar nicht so gut, aber ich habe eine Freundin, die Publizistin/Lehrerin/Journalistin ist und die korrigiert mir meine Texte“, höre ich gar nicht so selten. Wenn ich dann das Ergebnis sehe, bin ich häufig überrascht, denn das ist selten zufriedenstellend. Eine Berufsgruppe, die sich mit Schreiben oder dem Erzählen von Geschichten beschäftigt, ist nun mal leider nicht automatisch rechtschreibstark. Gute Journalisten können recherchieren und eine Story spannend aufbauen, aber leider eher selten auch sicher rechtschreiben. Texter sind in den besten Fällen kreative Köpfe, die ihresgleichen suchen – aber was die Orthografie und Grammatik betrifft, gäbe es wohl in TV- und Radio-Spots sowie Printwerbungen weniger krasse Fehler, wenn sie darin ebenso sattelfest wären.

WELLNESS: Warum legen dann aber so wenige Wert darauf, dazuzulernen oder ihre Texte zumindest von Profis korrigieren zu lassen?

Pamela Obermaier: Leider sind sogar (selbsternannte) Profis, die ihre Dienste kostenpflichtig anbieten, in vielen Fällen nicht so gut, wie man meinen würde. Dieses Bild zeichnet sich jedenfalls ab, wenn ich mir deren Websites so ansehe. Und ich meine damit keine Fehler, die eindeutig Vertipper sind und die jedem passieren können, sondern wirkliche Rechtschreib- und Grammatikschwächen. Dass das so ist, liegt meiner Erfahrung hauptsächlich daran, dass die wenigsten eine Unsicherheit spüren und deshalb im nachschlagen, wie man etwas richtig schreibt, wodurch sie stetig besser werden würden. Wer nicht hinterfragt, kann auch nicht dazulernen.

WELLNESS: Warum ist die Selbsteinschätzung auf diesem Gebiet so schlecht?

Pamela Obermaier: Das ist eine gute Frage! Das kennen wir sonst höchstens noch das eigene Gesangstalent betreffend, wie man seit vielen Jahren regelmäßig in Castingshows im Fernsehen hören kann. Meine Erfahrung zeigt jedenfalls, dass sogar Menschen, die selbst nicht sattelfest sind, was die Rechtschreibung betrifft, Fehler in fremden Texten durchaus wahrnehmen. Das liegt offenbar in der Natur des Menschen, bei den eigenen Fehlern eher betriebsblind zu sein, bei den Fehlern anderer aber ein Adlerauge zu haben. Die gute Nachricht: Es hat ja jeder die Möglichkeit, ein Rechtschreibtraining zu buchen, einen Kurs zu besuchen und die Rechtschreibung wie jede andere Gewohnheit zu trainieren, um diese Möglichkeit zur Chancengleichheit zu nutzen bzw. sich einen Wettbewerbsvorteil zu verschaffen! Wer auf der Bühne als Redner glänzen will, nimmt ja auch Präsentationsunterricht oder lässt seine Rhetorik schulen, damit er mit der Konkurrenz mithalten kann.

Unsere Interviewpartnerin:

Mag. Pamela Obermaier ist studierte Germanistin, erfolgreiche Unternehmerin, Expertin für Erfolg durch Sprachwirkung und Rechtschreibprofi. Die mehrfache Bestsellerautorin schult LektorInnenen, RedakteurInnen und andere BerufstexterInnen in Inhouse- und Einzeltrainings, was die exakte und stimmige Verwendung der deutschen Sprache sowie die aktuelle Rechtschreibung betrifft und wird als Vortragsrednerin zu ihren Kernthemen (Kommunikation, Potenzialentwicklung, Motivation und Außenwirkung) gebucht.
www.textsicher.at
www.pamelaobermaier.com

Foto: Tamara Wassermann