Noch immer wird die Geschichte des Bauhaus vor allem mit den Namen ihrer berühmten männlichen Vertreter wie Walter Gropius, Wassily Kandinsky oder Paul Klee verbunden. Allzu oft und zu Unrecht wurden die weiblichen Protagonistinnen am Bauhaus vergessen.
Jetzt wollen wir deren Geschichten hören – und lesen: Ein fantastisches Buch stellt erstmals 45 der wichtigsten Frauen am Bauhaus, ihren künstlerischen Werdegang und ihre Werke vor. Es öffnet den Blick dafür, wie das Bauhaus Frauen aus der ganzen Welt anzog und durch diese kosmopolitischen Künstlerinnen, Designerinnen und Architektinnen weltweit bekannt wurde. Darunter finden sich natürlich bekannte Größen wie Gunta Stölzl, Ise Gropius oder Anni Albers, aber auch bisher wenig erforschte Biografien von Vertreterinnen des Bauhauses. Patrick Rössler und Elizabeth Otto bieten damit den bislang umfangreichsten und aktuellsten Überblick über Frauen, die das Bauhaus geprägt haben und die den Gedanken der Schule hinaus in die Welt trugen.
Beispiel: Ricarda Schwerin, geb, Meltzer,
geboren am 30. Januar 1912 in Göttingen, gestorben am 29. Juli 1999 in Jerusalem
Nur ein kleiner Teil der Werke der deutsch-israelischen Fotografin ist erhalten geblieben, berühmt wurde das Portrait der Hannah Arendt, von Ricarda Schwerin 1961 in Jerusalem aufgenommen. Doch sie bekam noch viel mehr berühmte Leute vor ihre Kamera – Golda Meir, James Baldwin, Mosche Dayan und andere. Aber damals war sie Partnerin des Jerusalemer Fotografen Alfred Bernheim und die meisten der gemeinschaftlichen Arbeiten sowie ihre eigenen trugen seinen Namen … Ricarda wollte Fotografin werden und hatte schon während ihrer Zeit im Internat von der modernen Schule in Dessau gehört. „Junge Menschen, kommt ans Bauhaus!“ hieß es auf einer Broschüre, die ihr zufällig in die Hände fiel. Kurz vor der Reifeprüfung bewarb sich um einen Studienplatz dort. Sie hatte Glück: Sie wurde angenommen, und ihr Vater fand den Beruf der Fotografin „angemessen für Frauen“.
Sommer 1930. In der ersten Zeit bewegte sich Ricarda zwischen den verschiedenen Abteilungen – Graphik, Weberei, Fotografie; sie war fasziniert: „Studenten aus Japan, aus der Mongolei, aus Palästina… der freie Ton, die ganze Atmosphäre, alles so unkonventionell… “, erzählte sie. Im Sommer 1931 erschien ein neuer Student an der Schule, der 21 jährige jüdische Kommunist Heinz Schwerin. Zuerst sahen die beiden sich nur in der Mensa und bei Versammlungen der kommunistischen Zelle. Aber bald brauchten sie mehr Zeit für sich selbst. Ricarda sagte später, es sei Liebe von Anfang an gewesen.
Hortense Lore Leudesdorff – im Bild mit ihrem Blinedenhund – war von 1919 bis 1926 am Bauhaus Schülerin von Johannes Itten, Georg Muche und Paul Klee. In dieser Zeit wirkte sie auch an den Experimentalfilmen der Regisseure Walter Ruttmann und Lotte Reiniger mit. Ab 1928 arbeitete sie als Stoffdruck-Designerin und gründete 1932 das „Atelier Leudesdorff“. Nach kriegsbedingter Erblindung schuf sie in den 1950er Jahren plastische Bildwerke.
Patrick Rössler ist Professor für Kommunikationswissenschaft an der Universität Erfurt mit einem Schwerpunkt zur Geschichte der visuellen Kommunikation. Er beschäftigt sich seit vielen Jahren mit den Biografien von Bauhaus-Angehörigen und veröffentlichte u. a. Das Bauhaus am Kiosk, The Bauhaus and Public Relations und bauhaus.typographie.
Elizabeth Otto ist Professorin für moderne und zeitgenössische Kunstgeschichte an der State University of New York in Buffalo, USA. Sie hat bereits zahlreiche Bücher mit dem Schwerpunkt Bauhaus veröffentlicht, darunter Tempo, Tempo! The Bauhaus Photomontages of Marianne Brandt und The New Woman International: Representations in Photography and Film.
Patrick Rössler & Elizabeth Otto: Frauen am Bauhaus Wegweisende Künstlerinnen der Moderne. Gebunden, 192 Seiten, mit 200 farbigen Abbildungen, aus dem Englischen von Birgit van der Avoort. Preis € 35,- [D] 36,- [A]
Deutschland feiert 100 Jahre Bauhaus! https://www.bauhaus100.de/ – siehe auch https://wellness-magazin.at/travel/bauhaus-fieber/