Was passiert, wenn eine Unverträglichkeit zur „Modeerscheinung“ wird!

Getreide galt als Basis für eine gesunde Ernährung, Brot ist ein Grundnahrungsmittel. Das scheint fast ein Widerspruch zu sein in einer Zeit, in der wir mehr über Gluten-Intoleranz sprechen als übers Wetter!

Die Nachfrage nach glutenfreien Produkten wächst enorm. „Glutenfrei“ mausert sich zum „Qualitätskriterium“. Findige Hersteller loben sogar Produkte damit aus, in denen – von Natur aus – gar kein Klebereiweiß (Gluten) enthalten sein kann! Eine Lebensmittellüge? Ja und Nein! Es besteht nicht der geringste Zweifel daran, „dass bestimmte Menschen durch Gluten schwer beeinträchtigt werden“, wie Dr. Alessio Fasano sagt, der Experte schlechthin, Direktor des Zentrums für Zöliakieforschung in Boston und Entdecker des Zonulin, das zum Leaky-Gut-Syndrom (Durchlässigkeit der Darmwand) führen kann. Ein Hauptverursacher: der Kontakt der Darmzellen mit Gluten. Er plädiert jedoch dafür, dass wir lernen müssen klar zu unterscheiden um korrekt zu behandeln. Eine Immunantwort kann allergisch ausfallen (Weizenallergie) oder autoimmun (Zöliakie), oder eine vermutlich angeborene sein, die Glutensensitivität. Nur eines darf sie nicht sein: schick! Das wäre in den Auswirkungen ebenso fatal wie einst bei der „Moderkrankung“ Depression: Stets ein Schlag ins Gesicht für wirklich Betroffene! Erkrankungen fungieren als „Aufmerksamkeitsbringer“. Diesen verständlichen aber sinnlosen Schachzug unserer Psyche müssen wir uns bewusst machen! Doch nun zurück zur eigentlichen Glutenproblematik.

Was ist geschehen? Es ist noch immer ungeklärt, wie und warum die Toleranz von Produkten mit Gluten, d. h. vor allem Weizen, Roggen oder Gerste, in diesem Ausmaß verloren ging und geht. Sicher ist: Um die Ernten zu erhöhen, wurde neuartige Sorten Weizen gezüchtet, die mehr Klebereiweiß enthalten als die ursprünglichen. Die Eigenschaften des Glutens, vor allem seine Gashaltefähigkeit (Gärgas im Teig lässt das Brot aufgehen), machten es zu einem beliebten Inhaltsstoff. Unser Körper ist darauf allerdings nicht ausgerichtet. In der westlichen Welt ist mittlerweile jeder Dritte (!) glutensensitiv, wie Julien Venesson in seinem Buch „Wie der Weizen uns vergiftet“ (riva 2014) attestiert. Hier kommt wieder Dr. Fasano ins Spiel. Er trennt erstmals Mythen von Fakten und erklärt die neuesten Forschungsergebnisse zur Wirkung von Gluten.

Hoffnung Enzym-Therapie. Die Therapie mit Enzym-Ergänzungsmitteln unter Verwendung von aus Bakterienstämmen gewonnenen Enzymen soll ein Weg sein, die toxischen Proteine von Weizen, Gerste und Roggen vollständig zu verdauen. Diese Enzyme können Gliadin ein Hauptbestandteil des Glutens aufspalten und sie dadurch unsichtbar machen für die Immunzellen, die den für die Zöliakie typischen Prozess der Autoimmunreaktion einleiten. Ein anderes Verfahren zur Reduzierung der Toxizität von Gluten besteht in der Vorbehandlung des Glutens an sich mit aus Bakterienstämmen gewonnenen Enzymen.

Cover NEUZöliakie & Co. in ZAHLEN
Das Forschungszentrum um Dr. Fasano, Boston, analysierte die US-Bevökerung
* 0,1 bis 0,3 Prozent haben eine Weizenallergie
* ca. 6 Prozent, also fast 20 Mio. Amerikaner sind von einer Glutensensitivität betroffen.
* 3 Mio. US-Amerikaner (ca. 1 % von 317 Mio) leiden an Zöliakie

Buch: Dr. Alessio Fasano/Susie Flaherty: Die ganze Wahrheit über Gluten, Südwest Verlag April 2015, 20,60 €

Im nächsten Heft: Der konkrete Umgang mit Gluten & die Organisation eines glutenfreien Haushaltes.

 

GFotos: Südwest, pixabay