Strategien für einen rationalen Umgang mit Antibiotika

Professor Dr. med. Mathias Pletz, Kongress-Präsident beim Kongresses für Infektionskrankheiten und Tropenmedizin (KIT 2018)‚ Direktor des Instituts für Infektionsmedizin und Krankenhaushygiene am Universitätsklinikum Jena über die zunehmende Ausbreitung multiresistenter Erreger.

Eine globale Bedrohung? Das Thema erfährt entsprechend viel mediale Aufmerksamkeit – auch in der Laienpresse werden „Superkeime“ immer wieder genannt. Allerdings schwankt der Umgang mit multiresistenten Erregern (MRE) häufig zwischen Ignoranz und Panik – vor allem wenn Ausbrüche beschrieben werden. Dabei gibt es typische Missverständnisse, die im Folgenden kurz richtig gestellt werden sollen.

1) „Resistenzentwicklung ist bei einem korrekten Einsatz von Antibiotika vermeidbar“. Richtig ist: Resistenzentwicklung ist Teil bakterieller Evolution, und die ist weder vermeidbar noch gut vorhersagbar, denn Evolution verläuft sprunghaft. Viele Resistenzgene sind lange vor Einsatz von Antibiotika entstanden. In über 30.000 Jahre alten Bakterien aus dem Permafrostboden konnten dieselben Resistenzgene nachgewiesen werden, die wir heute in Vancomycin resistenten Enterokokken (VRE), einem typischen MRE, finden. Schon seit Millionen Jahren haben sich langsam wachsende Bakterien und Pilze gegen schneller wachsende Konkurrenten mit Toxinen gewehrt.

Von diesen Toxinen stammen die meisten der heutigen Antibiotika ab – daher gibt es auch die entsprechenden Resistenzgene bereits in vielen Umweltbakterien. Unsere Gruppe konnte kürzlich zeigen, dass in Umweltbakterien eine Vielzahl von Resistenzmechanismen gefunden werden können („Umweltresistom“), die auf Krankheitserreger „überspringen“ können. Die Ausbreitung dieser Resistenzgene und von MRE korreliert allerdings direkt mit dem Verbrauch von Antibiotika. Je höher der Verbrauch, desto schneller steigen die Resistenzraten.

2) „MRE sind aggressiver als sensible Bakterien“. Richtig ist: MRE teilen sich in der Regel langsamer als sensible Bakterien. Während sich etwa die sensible Variante eines MRSA circa alle 20 Minuten teilt, braucht ein MRSA-Stamm dafür fast die doppelte Zeit. Resistenzgene bieten nur einen Vorteil in Anwesenheit von Antibiotika, ansonsten sind sie oft „genetischer Ballast“. Die in vielen Studien beobachtete höhere Sterblichkeit bei MREInfektionen erklärt sich vor allem dadurch, dass eine anfängliche, in Unkenntnis des MRE begonnene Therapie diesen nicht erfasst. Dadurch kann eine wirksame Therapie erst nach MRE-Nachweis erfolgen, und diese Verzögerung – meist zwei bis drei Tage – ist bei schweren (!) Infektionen, also Sepsis, mit einer erhöhten Sterblichkeit assoziiert. Bei leichten Infektionen oder schweren Infektionen und initial adäquater Therapie gibt es keinen Unterschied im Behandlungsergebnis. Die gegenüber sensiblen Bakterien verminderte „biologische Fitness“ der MRE zeigt sich auch daran, dass bei vielen MRE-kolonisierten Patienten die körpereigene Flora den MRE wieder verdrängt, wenn der Patient über einen längeren Zeitraum keine Antibiotika mehr einnimmt. Grundsätzlich gilt daher, dass MRE-Kolonisationen ohne Zeichen einer akuten Infektion nicht mit Antibiotika behandelt werden sollten.

3) „Es gibt keine neuen Substanzen mehr“. Richtig ist: Das Fehlen neuer Antibiotika ist vor allem ein ökonomisch bedingtes Problem. Die Entwicklung eines neuen Medikamentes dauert etwa acht bis 12 Jahre und kostet circa 1 Mill. US-Dollar. Die Entwicklung von Antibiotika ist im Vergleich zu anderen Medikamenten (etwa Bluthochdruck, Diabetes) nicht mehr gewinnbringend. Allerdings wurden mittlerweile große nationale und internationale Förderprogramme aufgelegt, um die Entwicklung neuer Antibiotika wieder lohnenswert zu machen. In den USA wird beispielsweise der Patentschutz für neue Antibiotika verlängert. Dies gibt Anlass zur Hoffnung, denn in der aktuellen Literatur werden viele neue Substanzen mit antibakterieller Wirkung beschrieben, die das Potenzial für eine klinische Entwicklung haben.

4) „MRE sind ein Krankenhaus-Problem“. Richtig ist: In Krankenhäusern finden sich mehr MRE-kolonisierte Patienten und der Hautkeim MRSA ist in Deutschland weitgehend ein Krankenhauserreger – auch wenn es MRSA-Stämme gibt, die sich vor allem in Schweinemastbetrieben ausbreiten. Die multi-resistenten Darmkeime hingegen breiten sich auch außerhalb der Krankenhäuser erfolgreich aus. In Indien sind bereits 40 bis 60 Prozent der gesunden Bevölkerung mit multiresistenten Darmkeimen besiedelt. Patienten, deren Haut mit MRSA besiedelt ist, können vom Arzt bestimmte desinfizierende Waschlotionen verordnet bekommen und den Erreger dadurch wieder loswerden. Ein vergleichbares Konzept gibt es für MRE-Darmbakterien bislang nicht. Unbedingt vermeiden sollte man den Einsatz von Antibiotika bei MRE-besiedelten Patienten ohne Zeichen einer akuten Infektion, denn bei den meisten Patienten verdrängt die gesunde Darmflora den MRE nach einer gewissen Zeit.

 

Um das Problem der Antibiotikaresistenz zu lösen, benötigen wir einen gesamtgesellschaftlichen Ansatz, denn Antibiotikaresistenzen werden sowohl zwischen den Sektoren des Gesundheitswesens als auch zwischen Umwelt, Mensch und Tier übertragen („One Health“-Konzept). Natürlich muss der Industrie ein Anreiz für die Entwicklung neuer Substanzen geboten werden, gleichzeitig müssen wir Ärzte aber zum einen dafür sorgen, dass MRE nicht übertragen werden – dies ist vor allem Aufgabe der Krankenhaushygiene. und zum anderen restriktiv mit den vorhandenen Antibiotika umgehen, um keine MRE zu selektionieren – natürlich ohne den Patienten dabei zu gefährden. Genau dies ist die Domäne von interdisziplinären Antibiotic Stewardships (ABS) – einer Art Qualitätsmanagement für Antibiotika. Dabei reduziert ABS nicht nur den Antibiotikaverbrauch, sondern kann auch den Behandlungserfolg verbessern. Auf dem KIT wird dieses wichtige Thema in zwei Symposien besprochen, dabei wird es auch um die Erfolge gehen, die bestimmte Kliniken mit einem ABS-Programm erreicht haben. Das typische ABS-Team besteht aus Infektiologen, Apothekern, Mikrobiologen und Krankenhaushygienikern. Aufgabe ist die Überwachung von Resistenzraten und Antibiotikaverbrauch in der Klinik und die Etablierung eines rationalen Umgangs mit Antibiotika durch Schulungen sowie spezielle Antibiotikavisiten, bei denen nicht indizierte, unnötig lange oder unnötig breite Therapie abgesetzt werden. Während ABS-Programme in Krankenhäusern zunehmend etabliert werden, befindet sich die Entwicklung im ambulanten Sektor noch am Anfang. Gerade dieser ist aber eine Herausforderung, da hier 85 Prozent aller Antibiotika im Bereich der Humanmedizin verordnet werden und die Entscheidungen für oder gegen ein Antibiotikum im Gegensatz zum Krankenhausarzt meist ohne Labor und Röntgenbild sowie ohne die Möglichkeit, den Patienten in den nächsten 48 Stunden zu überwachen, getroffen werden muss. Helfen können hier Schnelltests, die zwischen viraler und bakterieller Infektion unterscheiden und die zunehmend auch von den Kassen erstattet werden. Ganz wesentlich ist auch die Impfung gegen Influenza und Pneumokokken, denn weniger Erkrankungen und Arztbesuche bedeuten auch weniger Antibiotikaverordnungen. Dies wurde in vielen Studien gezeigt.

Quelle: Pressekonferenz anlässlich des Kongresses für Infektionskrankheiten und Tropenmedizin (KIT 2018): Donnerstag, 21. Juni 2018, 11.30 bis 12.30 Uhr, Köln; Titelfoto (c) pixabay.com/geralt