Vom frommen Wunsch zum großen Wurf

Die Österreichische Diabetes Gesellschaft (ÖDG) informiert über den Nutzen des erarbeiteten Expertenpapiers und betont die Notwendigkeit einer zeitnahen Umsetzung. Am 29. März 2017 wurde vom Bundesministerium für Gesundheit und Frauen die Österreichische Diabetes Strategie veröffentlicht. Das strategische Expertenpapier liefert der Gesundheitspolitik einen Überblick über die wichtigsten Handlungsfelder rund um das Thema Diabetes. Die Diabetes Strategie umfasst die Themen Prävention, Diagnose, Therapie, Versorgung und Forschung und gibt in sechs Wirkungszielen vor, wie sich Österreich in Bezug auf den Umgang mit Diabetes in den nächsten 5–10 Jahren weiterentwickeln soll. Die Österreichische Diabetes Gesellschaft (ÖDG), die maßgeblich an der Erstellung der Strategie beteiligt war, unterstreicht in einem Pressegespräch die Dringlichkeit, dieser Volkskrankheit umfassend und konsequent zu begegnen.

10FotoToplakCopyrightWustingerPapier ist geduldig, aber der Diabetes Tsunami wartet nicht! Der Präsident der Österreichischen Diabetes Gesellschaft, Univ.-Prof. Dr. Hermann Toplak, von der Ambulanz für Lipidstoffwechsel der Universitätsklinik für Innere Medizin der Medizinischen Universität Graz, erklärt: „Die Diabetes Strategie wurde initiiert, um Österreich das Rüstzeug für die bedrohlich rollende Diabeteswelle zu liefern. Experten sprechen bei Diabetes mittlerweile von einem Tsunami. Die Diabetes-Versorgung muss in Österreich neu geplant werden, um den Anforderungen der Zeit zu entsprechen. Dies erfordert ein neues Denken in mehreren Dimensionen – auch weit über das Gesundheitssystem hinaus – und ein rasches Handeln auf mehreren Ebenen, denn ein Tsunami wartet nicht.“

Ein breiter und intensiver Austausch. Die Diabetes Strategie wurde im Auftrag des Bundesministeriums in einem breit angelegten partizipativen Entwicklungsprozess, an dem mehr als 100 Stakeholder beteiligt waren, in einem Jahr entwickelt. Für jedes Handlungsfeld wurde eine Arbeitsgruppe mit der Formulierung von Wirkungszielen betraut, die in darauffolgenden Abstimmungsrunden akkordiert wurden.

11_Foto_WaschercWILKEWiendasFotostudioUniv.-Prof. Dr. Thomas C. Wascher, von der 1. Medizinischen Abteilung des Hanuschkrankenhauses in Wien und Past-President der ÖDG, war Leiter einer dieser Arbeitsgruppen und berichtet: „Die Sitzungen waren sehr arbeitsintensiv, da allen Beteiligten daran gelegen war, einen möglichst umfassenden Blick auf das hochkomplexe Thema Diabetes zu richten. Darum zieht sich auch der Health-in-all-Policies-Ansatz (Gesundheit in allen Politikfeldern) als Grundgedanke durch den gesamten Text. Dies bedeutet, dass Gesundheits- und im speziellen Fall Diabetespolitik weit über das Gesundheitswesen hinauswirken muss. Es geht darum, unsere Umwelt so zu gestalten, dass sie auf mehr physische Bewegung und gesündere Ernährung Lust macht.“

Österreich hat Diabetes. „Eine große Anzahl von Menschen hat Diabetes (ca. 600 000 in Österreich). Diese Erkrankung betrifft die unterschiedlichsten Lebensbereiche vom Familienleben bis zur Arbeitswelt. Somit ist jeder Mensch in Österreich betroffen, da alle in ihrem Umfeld mit Betroffenen zu tun haben. Sie leben in derselben Familie oder arbeiten am selben Arbeitsplatz.

FotoSourijFotografinSissiFurglerDas Wissen über Risikofaktoren, Auswirkungen auf den Alltag aber auch Komplikationen und spezifische Erste Hilfe ist in der Bevölkerung nicht ausreichend vorhanden“, erklärt Assoz. Prof. Priv.-Doz. Dr. Harald Sourij, von der klinischen Abteilung für Endokrinologie und Diabetologie der Medizinischen Universität Graz und Vorstandsmitglied der ÖDG.

Gesundheitliche Chancengerechtigkeit in Prävention und Versorgung. Die österreichische Diabetes Strategie hat sich zwei übergeordnete Ziele gesetzt:

  • Für alle in Österreich lebenden Menschen soll die Wahrscheinlichkeit an Diabetes zu erkranken, verringert werden.
  • Alle in Österreich lebenden und an Diabetes erkrankten Menschen sollen möglichst lange mit hoher Lebensqualität leben können.

Dr.-Claudia-Francesconi_©_WildTeam-SalzburgPrim. Dr. Claudia Francesconi, von der Sonderkrankenanstalt Rehabilitationszentrum Alland für Stoffwechselerkrankungen ist ebenfalls Vorstandsmitglied der ÖDG und streicht zentrale Punkte der Diabetes-Strategie hervor: „Essentiell ist die Etablierung eines niederschwelligen Zugangs zu Information, Schulung, Beratung und medizinischer sowie sozialer Hilfestellung durch kompetente AnsprechpartnerInnen in Wohnortnähe. Ziel ist die Krankheitsakzeptanz in der Frühphase nicht nur für den oder die Betroffene, sondern auch seine Familie bzw. sein soziales Umfeld zu ermöglichen, und darauf aufbauend auch die Kompetenz des einzelnen im Umgang mit der Erkrankung zu maximieren. Dadurch steigt die Therapietreue und damit kann das Entstehen von Spätkomplikationen mit allen Konsequenzen in großem Ausmaß hintangehalten werden – für die Betroffenen, ihr soziales Umfeld, das Gesundheitssystem und damit die Gesellschaft.“

Experten und Expertise auch über die Basisversorgung hinaus. „Gesundheitliche Chancengerechtigkeit muss in Österreich auch die ländlichen Regionen erreichen. Eine Familie, die dort lebt, muss den Zugang zu Experten und Expertise bekommen und zwar von Anfang an. Aber es ist auch entscheidend, die Versorgungsstrukturen weiter zu denken. Denn wenn der Diabetes entgleist, stehen viel zu wenige SpezialistInnen und Ambulanzen zur Verfügung, um mit der immer größer werdenden Zahl an DiabetikerInnen auf einer individuellen Behandlungsebene umzugehen“, betont Toplak. „Die medizinische Forschung hat große Verbesserungen für die Betroffenen gebracht. Wir können Menschen mit Diabetes heute ein längeres Leben mit weniger Folgeerkrankungen und besserer Lebensqualität bieten, als je zuvor. Gleichzeitig ist aber auch das therapeutische Arsenal, mit dem wir gegen diese Volkskrankheit vorgehen, deutlich gewachsen und sehr komplex geworden. Darum brauchen wir mehr Experten mit mehr Expertise als je zuvor, um jedem Menschen in Österreich die Versorgung zu bieten, die medizinisch bereits möglich ist.

Die Strategie steht, es ist Zeit zu handeln. Abschließend erläutert ÖDG Präsident Toplak: „Die ÖDG als wissenschaftliche Fachgesellschaft für das Thema Diabetes wird darauf achten, dass der Prozess nicht stillsteht und auf das strategische Denken auch das entsprechende Handeln folgt. Gemeinsam mit den Patientenvertretern werden wir als Experten die konsequente Umsetzung der Strategie regelmäßig überprüfen und einfordern.“

Die Österreichische Diabetes Gesellschaft (ÖDG) ist die ärztlich-wissenschaftliche Fachgesellschaft der österreichischen Diabetes-Experten und Diabetes-Expertinnen. Ordentliche Mitglieder der Gesellschaft sind Ärzte und Ärztinnen und wissenschaftlich einschlägig orientierte Akademiker und Akademikerinnen. Assoziierte Mitglieder sind Diabetesberater und Diabetesberaterinnen und Diätologen und Diätologinnen. Die Österreichische Diabetes Gesellschaft sieht es als ihre Aufgabe, die Gesundheit und Lebensqualität von Menschen mit Diabetes mellitus zu verbessern. Sie setzt sich daher für die Anliegen der Betroffenen ein. Sie fordert und fördert die stetige Verbesserung der Versorgung von Menschen mit Diabetes mellitus. Sie unterstützt die Forschung und verbreitet wissenschaftliche Erkenntnisse aller den Diabetes berührenden Fachgebiete sowohl zur Verbesserung der medizinischen Betreuung als auch zur bestmöglichen Vorbeugung von Neuerkrankungen.
Informationen über die Aktivitäten der ÖDG finden Sie unter http://www.oedg.at/

Fotos: Titelbild: Daniel Mikkelsen; Toplak: © Wustinger; Foto Sourij: © Fotografin Sissi Furgler; Dr. Claudia Francesconi © WildTeam-Salzburg; Wascher © WILKEWiendasFotostudio