Wir kennen sie alle, die kleinen und auch die etwas größeren Störenfriede: Ständig in Bewegung, dauernd geht etwas zu Bruch, unentwegt wird Lärm gemacht, Regeln werden kaum bis gar nicht befolgt, Wutausbrüche bei jeder Kleinigkeit…
Daneben mangelt es noch an Aufmerksamkeit und Konzentration – vor allem in der Schule –, es wird vieles verloren oder vergessen, im Zimmer herrscht Chaos.
All das ist typisch für Kinder mit ADHS. „Anstrengend“ ist das Wort, das einem dabei als erstes einfällt. Und das ist es auch. Aber nicht nur für das Umfeld, sondern auch für diese Kinder selbst. Denn sie erfahren aufgrund eben dieses Verhaltens (und noch vielem anderem mehr) immer wieder Ablehnung, Zurechtweisung, Kritik.
Die Eltern, die mit den Nerven einfach nur mehr am Ende sind – vor allem auch, weil sie immer wieder zu hören bekommen, sie hätten ihr Kind nicht im Griff – nörgeln, schimpfen, werden auch mal laut.
Die Lehrkräfte, die neben dem Unruhestifter noch 25 andere Schüler betreuen sollen, haben in der Regel auch nicht unbedingt nette Worte für das Kind, das ständig alle aufmischt. Und die Schulkameraden, die ebenfalls merken, dass das betroffene Kind anders tickt, beginnen es auszuschließen und zu mobben.
Der Schulalltag wird somit oft zum täglichen K(r)ampf …
und Klassenfahrten sowie Sportwochen werden zu einem Spießrutenlauf – vorausgesetzt das von ADHS betroffene Kind darf überhaupt mit. Denn häufig sind diese Schüler von derartigen Schulaktivitäten ausgeschlossen.
All das sind keine idealen Voraussetzungen, um den Selbstwert aufzubauen, um eine starke, sozial kompetente Persönlichkeit zu entwickeln, um sich zu einem mit sich selbst zufriedenen, emotional stabilen Erwachsenen zu entwickeln. Aber es gibt natürlich Mittel und Wege, Heranwachsende mit dieser Gehirnstoffwechselstörung entsprechend zu begleiten und zu unterstützen, dass diese Entwicklung doch gelingt.
Genau hier kommt es immer wieder zur Frage, ob Kinder und Jugendliche mit ADHS Medikamente verabreicht bekommen sollen.
Die Antwort auf diese Frage ist vor allem auch deshalb so umstritten, weil es sich dabei um Substanzen handelt, die nicht unerhebliche Nebenwirkungen haben können (aber nicht müssen). „Kinderkoks“ und „Chemiekeule“ schreien die Medikamentengegner, „verantwortungslose Eltern, die ihren Kindern eine wesentliche Chance zur Behandlung verweigern“ rufen die anderen. Und wie immer liegt die Wahrheit irgendwo dazwischen.
Aber wie soll man sich nun entscheiden?
Als Mama und Papa möchte man gerade bei dieser Behandlungsmöglichkeit keinen Fehler machen. Nun, es gibt dafür zum einen die im deutschen Sprachraum allgemein anerkannten (S3)-Leitlinien, zum anderen sollte diese Frage auf Basis der Leitlinien auch mit dem behandelnden Arzt ausführlich besprochen werden. Er steuert seine Expertise bei, die Eltern das Wissen über ihr Kind und über ihre individuelle Situation als Familie. Nur so kann eine Entscheidung getroffen werden, die schließlich für alle passt.
Als grobe Richtlinien können folgende Kriterien gelten, die Medikamente erforderlich machen:
- Wenn durch die bisherigen Maßnahmen (d.h. andere Therapien) nach einigen Monaten keine befriedigende Besserung erkennbar ist.
- Wenn eine deutliche Beeinträchtigung im Leistungs- bzw. psychosozialen Bereich mit Leidensdruck bei Kindern und ihrem Umfeld zu erkennen ist.
- Wenn Gefahr für die weitere Entwicklung des Kindes besteht.
- Wenn es zu krisenhaften Zuspitzungen kommt.
Insgesamt ist jedenfalls wichtig: Wenn Medikamente verabreicht werden, sollten sie nur ein Teil im Therapiemix sein, denn ADHS sollte multimodal behandelt werden, d.h. im Idealfall mit Elterntraining einerseits und kindspezifischen Therapien wie Konzentrationstraining, Ergotherapie, Neurofeedback, Verhaltenstraining etc. andererseits. Welche dieser Therapien gewählt wird, ist abhängig davon, wo der größte Förderbedarf besteht.
Und was kann ich als Mama oder Papa tun?
Nun, da gibt es ganz vieles. Das wichtigste ist, dass Eltern bei all ihrer Verzagtheit und trotz täglich sehr hohen erzieherischen Anforderungen ihrem Kind vermitteln, dass es gut und richtig so ist, wie es ist. Diese Kinder brauchen einfach ganz viel positive Bestätigung und vor allem auch die Förderung ihrer Stärken und Talente. Ja, das brauchen Kinder ohne ADHS auch, aber Kinder mit diesem Syndrom umso mehr.
Auch gemeinsam viel Zeit zu verbringen, am Weg ins Fußballtraining oder Ballett im Auto zu plaudern (anstatt dass das Kind am Handy rumtippen zu lassen), am Sofa gemeinsam alte Fotos angucken, eine kleine Schatzsuche im Wald zu veranstalten … Es gibt so vieles, das man mit seinem besonderen Kind tun kann, das verbindend und beziehungsstärkend ist. Und wenn Ihnen wirklich wieder mal die Geduld ausgeht, dann denken Sie an das kleine Würmchen, das Sie aus dem Krankenhaus heimgebracht haben und das sich sein Schicksal als Kind mit ADHS nicht ausgesucht hat.
Mehr zum Umgang mit Ihrem Zappelwunderkind sowie zu den Themen Therapien und Medikamente können Sie im neuesten Buch von Anna Maria Sanders nachlesen. In „Schon wieder hat Max …“ begleitet der Leser einen zwölfjährigen Jungen mit ADHS und dessen Familie auf dem Weg der Diagnose und der Entscheidung für die richtige Therapie.
Fotos: Zeichnungen: von Gustavo Rezende auf Pixabay; Titelbild: Bild von Prawny auf Pixabay; Cover (c) Verlag; Autorin (c) privat