Wie hat die Corona-Pandemie das Liebes- und Sexleben von Frauen beeinflusst? Um diese Frage zu beantworten hat sich LELO, die internationale Premiummarke für Sexual Wellbeing, mit der Sexual- und Paarberaterin Ann-Marlene Henning zusammengetan. Herausgekommen sind spannende Einblicke in die Wünsche und Bedürfnisse vieler Frauen sowie hilfreiche Tipps, wie man mit dem eigenen Körper umgeht und neue Lust auf Sex weckt.

LELO: Wann und aus welchen Gründen kommen Menschen zu Ihnen in die Praxis? 

Ann-Marlene Henning: Es kommen Frauen, die Schwierigkeiten haben, einen Orgasmus zu erleben und Männer, die unter dem „Zu-früh-Kommen“ leiden oder Probleme mit ihrer Erektion haben. Natürlich geht es aber auch um Schmerzen beim Sex, um sexuelle Traumata oder schlicht um „keine Lust auf Sex“. Paartherapeutisch geht es um Untreue, Eifersucht, Streit oder unterschiedliche Bedürfnisse. Hinzu kommen ganz alltägliche psychologische Themen wie Selbstwert, Selbstachtung, Liebe, Bindung, Gefühle oder Kommunikation.

Suchen mehr Frauen oder mehr Männer Ihren Rat? Wie alt sind sie? 

In meine Praxis kommen Menschen von jung bis alt. Mein jüngster Klient war 12. Seine Eltern baten mich um Hilfe, da er auf einmal begonnen hatte sehr viel zu lügen. Meine älteste Klientin ist über Achtzig. Das Gros bewegt sich allerdings zwischen 30 und 65. Und nein, es sind nicht immer die Frauen. Auch Männer haben Probleme und Anliegen, die sie mithilfe einer unbeteiligten, objektiven Person lösen möchten. Und ihre Frauen müssen zum Teil erst überredet werden. 

Glauben Sie, dass die Pandemie Einfluss auf das Sexualverhalten von Frauen hat?

Ich glaube, dass die Pandemie einen großen emotionalen und psychologischen Einfluss auf alle Menschen hatte – und immer noch hat. Wir sind alle gestresst vom Virus. Insbesondere als wir im Homeoffice landeten, viele Paare mit ihren sehr jungen Kindern oder gestressten Jugendlichen. Das heißt: zwei überforderte Erwachsene, die fast nie allein sind. In solchen Situationen ist schwer, Intimität aufkommen zu lassen.

Wie haben sich die Veränderungen im Sexleben konkret gezeigt?

Bei einigen hat die neue Situation die bestehenden Probleme verstärkt. Andere konnten die Krise nutzen, um ihre Differenzen zu lösen. Sie stehen jetzt besser da als je zuvor. Mein Gesamteindruck ist, dass die Leute innegehalten und nachgedacht haben: „Was ist mir im Leben wichtig?“. Oft lautete die Antwort: Mehr leben. Mehr genießen! Dazu gehört für viele auch Sexualität. Wie die LELO-Studie zeigte, blieb ein Großteil der vergebenen Frauen und der Singles im Lockdown gleichbleibend sexuell, also genau wie ohne Pandemie. Jüngere Frauen (20 bis 29 Jahre alt) gaben an, während des Lockdowns mehr masturbiert zu haben. Siebzehn Prozent nutzen zudem mehr Sextoys. Das deckt sich mit meinen Erfahrungen in der Praxis. Immer mehr Frauen trauen sich zu experimentieren und ihren eigenen Körper kennenzulernen. 

Sind Frauen seit der Pandemie einsamer als vor März 2020?

Singles haben zum Teil weniger Möglichkeiten, sich körperlich und emotional auszutauschen, als Frauen in Partnerschaften. Die LELO-Studie ergab, dass 40 Prozent der Frauen in Beziehungen genauso weiterleben möchten. Nur neun Prozent wollen etwas ändern. Bei den Singles dagegen sind es 29 Prozent, die sich eine Veränderung (oder eine Beziehung) wünschen. Der Grund: Sie haben unter dem „Social Distancing“ gelitten. Das ist verständlich, weil gerade sie in ihrer Lebensplanung nicht so fest verankert sind und noch nicht etabliert im Leben stehen.

Fühlen sich jüngere Frauen seit der Pandemie unwohler in ihren Körpern? 

Was das Körpergefühl von Frauen angeht, gibt es zwei Tendenzen: Einige fühlen sich wohler, andere unwohler. Hier kommt wieder der Faktor ins Spiel, dass jüngere Frauen sich selbst noch nicht komplett „gefunden haben“. Einige können die Krise nutzen und ihr Selbst festigen, andere sind so verunsichert, dass es wörtlich nach Hinten losgeht. Sie schämen sich, ziehen sich zurück und lassen sich von den Medien beeinflussen.

Woran liegt das Unwohlsein? 

Gerade bei Frauen ist das Körperbild, aber auch das Gefühl für das eigene Genital sehr von den sozialen Medien und anderen visuellen Darstellungen (z.B. Pornos) beeinflusst. Wer viel zuhause ist, hat leider auch mehr Zeit online unterwegs zu sein und die „falschen“ Dinge zu konsumieren. Auf diesen Kanälen herrscht ein fast unerreichbares Ideal. Es beginnt ein Teufelskreis des Nicht-Mögens. 

Sind Frauen experimentierfreudiger als vor der Pandemie?

Ja, generell ist mein Gefühl, dass Frauen experimentierfreudiger sind. Viele haben die Pandemiezeit zuhause zum Nachdenken genutzt. Zum Beispiel sagen einige, deren Männer keine sexuelle Lust verspüren, dass sie jetzt eine offene Beziehung möchten. Sie wollen sich Liebhaber suchen. Sie berichten auch davon, dass sie sich mehr mit sich selbst befassen. Dazu gehört auch die Selbstbefriedigung. Sie wollen selbstbestimmter durchs Leben gehen, mit allem was dazugehört, also auch lebendigeren Sex haben. 

BDSM und Kinky Sex finden immer mehr Raum im öffentlichen Diskurs. Erkennen sie diese Tendenz auch in Ihren Therapien? 

Ja, viele Paare sind nach Filmen wie „Fifty Shades of Grey“ neugierig geworden. Gleichzeitig haben sie Angst, etwas falsch zu machen. Wir besprechen dann ganz in Ruhe, wie sie dennoch einen Versuch wagen können. Nicht wenige Paare stellen aber fest, dass es ihnen gar nicht gefällt. Viele Frauen finden ihre verloren geglaubte sexuelle Lust plötzlich wieder, wenn sie beispielsweise „Fifty Shades of Grey“ lesen. Sie berichten, sie hätten „da Unten“ wieder etwas gespürt. 

Was halten Sie von Sexpraktiken wie BDSM und Kinky Sex?  

Es gibt viele Vorurteile und Falschwissen zu BDSM, Fetischen und Co. Viele halten sie für „pervers“. Dabei müssen Paare gerade bei BDSM-Praktiken alles ganz offen und ehrlich besprechen. Sie beschäftigen sich also notgedrungen mit ihrer Sexualität, was oft zu einem innigeren Verhältnis führt. Diesen positiven Nebeneffekt kennen viele aber gar nicht. Daher kommt das LELO-Buch „Kinky Sex and BDSM for Beginners“ genau zur richtigen Zeit. Viele haben Lust auf Veränderung in ihrem (eingeschlafenen oder routinierten) Sexleben. Ich empfehle Paaren, neue Dinge auszuprobieren, darunter auch vorsichtige Machtspiele oder anderen Formen von Kinky Sex. Dadurch werden sie mutiger und aufgeschlossener. 

Welche Tipps haben Sie für Einsteiger?

Man sollte Sex nicht allzu ernst, sondern mit Humor nehmen. Einfach Dinge besprechen, zusammen recherchieren, sich informieren und dann – auf die ganz eigene Art – ausprobieren. Was alle anderen (anscheinend) schaffen oder tun ist nebensächlich. Jedes Paar sollte sich auf sich selbst konzentrieren. Und dabei gilt „Probieren über Studieren“.

Ann-Marlene Henning studierte an der Universität Hamburg Neuro-Psychologie, bevor sie in ihrer alten Heimat Dänemark als Psychologin zu arbeiten begann. Später studierte sie dort und in der Schweiz Sexologie und Paartherapie. Im Hamburger Stadtteil Eppendorf führt sie heute eine Praxis für Paar- und Sexualtherapie und hat 2019 ihren Master in Sexologie an der Hochschule Merseburg absolviert.

Fotos: LELO