Ein intaktes Immunsystem ist die beste Prävention gegen Krankheiten. Die Gesundheitsexperten der Lebensspur Lech schwören in Sachen Stärkung der Abwehrkräfte auf die Kneipp’sche Lehre. Warum die ganzheitliche Philosophie heute zeitgemäßer denn je ist und wie man die Tricks des „Wasserdoktors“ auch zu Hause ganz leicht anwenden kann, erklären der Füssener Rehabilitationsmediziner Dr. Hans-Martin Beyer (63) und die zertifizierte Kneipp-Trainerin Daniela Pfefferkorn (40) aus dem Tiroler Lechtal im Interview.

Unter Kneippen verstehen wir gemeinhin Wassertreten und kalte Armgüsse. Reicht es aus, sich nach dem Duschen kalt abzubrausen, um gesund zu bleiben?

Pfefferkorn: Diese Maßnahmen sind zwar schon ein guter Anfang, sie allein reichen jedoch nicht aus, um die Abwehrkräfte zu stärken. Das ganzheitliche Konzept von Pfarrer Kneipp fußt auf fünf Säulen. Die Hydrotherapie ist nur ein Teilbereich davon. Auch die Ruhe-, Ordnungs-, Ernährungs- und Bewegungstherapie sowie der Einsatz von Heilkräutern gehören dazu.

[H2] Wie kann ich die Hydrotherapie zu Hause anwenden?

Beyer: Die am einfachsten durchzuführenden und effektivsten Anwendungen zu Hause sind Kneippgüsse. Man beginnt dabei immer auf der herzfernen, rechten Körperseite ­und zunächst nur an Beinen oder Armen. Später können sie auf den Unter- beziehungsweise Oberkörper sowie den ganzen Körper ausgedehnt werden.

Gibt es bei der Hydrotherapie etwas Besonderes zu beachten?

Beyer: Drei Dinge sind besonders wichtig: Stets an den Füßen oder Händen anfangen, nicht auf kalter Haut anwenden und die Güsse generell morgens am Oberkörper, abends am Unterkörper ausführen. Der Brausekopf in der Dusche sollte dafür durch ein Gießrohr ersetzt werden. Das hat eine noch intensivere Wirkung, weil durch den gebündelten Wasserstrahl deutlich mehr Thermorezeptoren in der Haut gereizt werden.

[H2] Das Thema Ernährung spielt heutzutage eine sehr wichtige Rolle. Was würde Kneipp zu den modernen Food-Trends sagen?

Pfefferkorn: Sebastian Kneipps Ernährungsempfehlungen waren nie einseitig. Auf dem Speiseplan standen ausgewogene Mahlzeiten mit vielen frischen, unverarbeiteten Lebensmitteln, heimischen Pflanzen und Kräutern sowie wenig tierischen Produkten. Alles in allem eine gesunde, natürliche und genussorientierte Ernährung, die man heute wohl als „Clean Eating“ bezeichnen würde.

Nach Kneipp aktivieren Kräuter die körpereigenen Abwehrkräfte. Um welche Heilpflanzen handelt es sich?

Pfefferkorn: Baldrian, Brennnessel, Fenchel, Holunder, Johanniskraut, Rosmarin, Salbei oder Spitzwegerich sind Pflanzen, die in Form von Tees, Suppen und Salaten vorbeugend wirken. Sie können aber auch bei akuten gesundheitlichen Problemen den Heilungsprozess enorm unterstützen.

Beyer: Auch Löwenzahn hat positive Auswirkungen auf das Immunsystem. Seine Inhaltsstoffe wie Vitamin B, C und E binden freie Radikale und wehren so Zellangriffe ab. Dafür einfach täglich einen Sud aus 1 EL getrockneten, zerkleinerten Blättern und 0,25 l kochendem Wasser herstellen, acht bis zehn Minuten ziehen lassen, abseihen und trinken. Löwenzahn stärkt die Abwehr, entgiftet die Leber und fördert die Arbeit der Nieren. 

Welcher Sport und wie viel davon ist im Kneipp’schen Sinn auch bei Wind und Wetter gesund?

Beyer: Geeignet sind alle Ausdauersportarten wie Radfahren, Wandern, leichtes Joggen oder Schwimmen, aber auch Inlineskaten, Skateboarden oder Schlittschuhlaufen. Entscheidend ist die Intensität: Man sollte sich dabei immer noch gut unterhalten können. Denn eine zu hohe körperliche Belastung kann das Gegenteil bewirken und das Immunsystem sogar für einige Stunden hemmen.

Pfefferkorn: Wichtig ist vor allem, täglich an die frische Luft zu gehen – und das bei jedem Wetter und zu jeder Jahreszeit. Es muss auch nicht immer Sport sein, selbst morgendliches Barfußlaufen oder Tautreten können die Abwehr auf Dauer stärken.

Inwieweit beeinflussen ein intaktes Seelenleben und nächtliche Ruhe das körperliche Wohlergehen? 

Beyer: Dauerstress und damit einhergehend ein hoher Adrenalin- und Noradrenalin-Spiegel führen unweigerlich zu schlechtem Schlaf und im schlimmsten Fall zu Burnout. Durch ein Leben gemäß der Kneipp’schen Gesundheitslehre lassen sich nicht nur die körperlichen Abwehrkräfte stärken, auch die psychische Widerstandskraft wird nachhaltig verbessert. Bewegung in freier Natur „entmüllt“ das Gehirn, entspannt und lässt uns zur Ruhe kommen. Stresshormone werden verbraucht, anstatt sich im Körper anzuhäufen.

Wie kann man im eigenen Schlafzimmer für optimale Schlafbedingungen sorgen?

Pfefferkorn: Hier gilt es, einige Regeln der sogenannten Schlafhygiene zu beachten. Dazu gehört beispielsweise gutes Lüften. Die optimale Raumtemperatur im Schlafzimmer liegt zwischen 15 und 18 Grad. Dazu sollte man störende Licht- und Geräuschquellen sowie das Smartphone abschalten und eine regelmäßige Ruhezeit einhalten. Außerdem ist es sinnvoll, individuelle Rituale zu entwickeln: Beruhigende Tees und Meditationsübungen etwa stimmen Körper und Geist auf erholsamen Schlaf ein.    

Über die „Lebensspur Lech“

Die grenzüberschreitende „Lebensspur Lech“ erstreckt sich vom österreichischen Tirol bis ins bayerische Allgäu. Rund um die Weitwanderroute Lechweg wurde ein gemeinsamer gesundheitstouristischer Erlebnisraum mit den Schwerpunkten mentale Balance und gesunder Schlaf. Grundlage für alle Aktivitäten bildet die Kneipp’sche Gesundheitslehre mit ihren fünf Säulen Wasser, Bewegung, Ernährung, Kräuter und Innere Ordnung. Der Lech steht dabei sinnbildlich für die Kraft und Heilwirkung der Natur und ist das verbindende Element zwischen den Orten. Das Projekt „Lebensspur Lech“ wird aus INTERREG-Mitteln der Europäischen Union gefördert.

Interview: Jessica Harazim und Marion Pronesti

Fotos: Verein Lechweg/Gerhard Eisenschink