Finnen schätzen das Einfache und Ehrliche, Schnickschnack und Firlefanz entsprechen nicht ihrer Natur. Auch kulinarisch setzen Sie auf unverfälschte Zutaten aus der Natur.
Ein Einblick in die wildgewachsene Küche Finnlands … von und mit Anna Karolina Stock
Als Außenseiter hat man es bekanntlich nicht leicht. Auf internationaler Ebene sind die französische und italienische Küche viel zu präsent, als dass die skandinavische überhaupt auf dem Tellerrand erscheint. Abgestempelt als Saunanationen mit eisigen Wintern wird schnell übersehen, dass unsere nordischen Nachbarn doch viel mehr zu bieten haben. Besonders die Finnen sind seit jeher leidenschaftliche Gourmets und ihren kulinarischen Wurzeln stets treu geblieben. Ihre Wochenmärkte sind voll von saisonalen Produkten und lokalen Delikatessen. Eine davon sind Piroggen mit Eibutter (Karjalanpiirakka). Die Häppchen stammen aus der ostfinnischen Provinz Karelien und werden wie die meisten finnischen Backwaren aus Roggenmehl zubereitet. Mit einer Füllung aus salzigem Milchreis, Kartoffeln oder Möhren werden sie braun gebacken und – für das gewisse Etwas – mit einer Creme aus hartgekochten, zerkleinerten Eiern, salziger Butter und Dill serviert. „Roggen wird in Finnland oft verwendet“, berichtet die finnische Köchin Mira Thate. Was für die Franzosen das Baguette ist, sei für die Finnen Ruisleipä – das Roggenbrot.
„Back to the roots“. „Obwohl man in Finnland heutzutage alles kaufen kann, mögen wir es frisch und unprätentiös“, schildert die Köchin. Dies liege an der eher bäuerlich geprägten Küche, welche im Gegensatz zur Schwedischen oder Norwegischen aus einer armen Gesellschaft heraus entstanden ist. Hauptbestandteile sind Kartoffeln, Pilze, Wurzelgemüse, Beeren, Fisch und Fleisch. Der Grundgedanke in allen nordischen Küchen ist, sich von der Natur inspirieren zu lassen und genau das zu verwerten, was Wald, Felder und Wasser hergeben.
Der finnische Koch Markus Maulavirta, der als erster mit einem Michelin-Stern ausgezeichnet wurde und als Jamie Oliver Finnlands angesehen wird, zaubert aus den Früchten der Natur wahre Gourmetmenus, die dennoch „Back to the roots“ ausstrahlen. Damit sich die natürlichen Aromen vollends entfalten, werde eher zurückhaltendend gewürzt. Salz, Pfeffer, Zucker und ein paar Gartenkräuter wie Dill und Schnittlauch, mehr brauche man nicht. Anstatt üppigen Soßen werden finnische Gerichte in der Regel nur mit geschmolzener Butter oder Brühe angerichtet. „Glücklicherweise kennt die finnische Küche keine Klöße, denn die würden ohne Soße am Gaumen kleben bleiben“, scherzt Mira Thate.
Gusseisen liefert den besonderen Geschmack. Die finnische Köchin lebt schon seit 20 Jahren in Deutschland und bekochte bereits den finnischen Botschafter in Berlin. Um die Speisen aus der Heimat traditionell zubereiten zu können, brachte sie sogar ihre gusseiserne Räucherpfanne mit. „Im Gegensatz zu antihaftbeschichteten Pfannen sorgt Gusseisen dafür, dass der Inhalt gleichmäßiger und langsamer gart oder brät“, erklärt sie. Zusätzlich werden die Gerichte auf ganz natürliche Weise mit Eisen angereichert, wovon die meisten Menschen viel zu wenig aufnehmen. Mit gusseisernem Kochgeschirr lassen sich Pilze braten, Eierkuchen backen oder Lachs heißräuchern. Wird er hingegen typisch finnisch nach Loimulohi-Art zubereitet, muss der ausgenommene Fisch in zwei Hälften aufgeklappt, gesalzen und mit Holzkeilen an ein Brettbefestigt werden. Je nach Größe gart und röstet er dann mindestens eine Stunde am heißen Feuer.
Finnische Nationalspeise: Kartoffel mit Hering und Pfifferlingen. Die finnische Natur ist ein wahres Schlaraffenland: Unzählige Kartoffelsorten sprießen auf den Feldern und machen die Knolle zur nationalen Beilage. Ein Klassiker seien junge Kartoffeln mit Hering oder mit frischem Fisch und Pfifferlingen. Nicht umsonst als Land der tausend Seen bekannt, gibt es in Finnland rund 190.000 Seen mit Lachs (lohi), Forelle, Hering, Aal, Barsch, Zander, Hecht und Maräne (muikku). „Besonders beliebt ist Hering, der als Snack mit Ei, Gurke, Roter Bete und Mayonnaise oder in einer Senfsauce mariniert serviert wird“, verrät Mira Thate.
Finnen sind schlichtweg Saunaweltmeister. Dass sich das finnische Leben beim oder im Wasser abspielt, überrascht kaum: Schwimmen, Angeln, Rudern, Kanufahren, Segeln, ja sogar Saunieren kann man auf dem Wasser, nämlich auf einer schwimmenden Sauna. Für die Nordlichter hat die schweißtreibende Freizeitaktivität nicht nur einen reinigenden, beruhigenden Aspekt, sondern auch ein soziales Element – wo und wie sonst würde man mit seinen Freunden ganz in Ruhe ein Bierchen trinken und hinterher nackt in den See springen können? Ihr Heiligtum von Sauna halten die Finnen daher schon seit über 1.500 Jahren aufrecht. Mittlerweile zählt man landesweit über drei Millionen Saunen. Bei rund 5,5 Millionen Finnen macht das mehr als eine Sauna für jeden zweiten Finnen.
Um die Saunatraditionen zu erhalten, wird ihnen schon von Kindesbeinen an das Schwitzen gelehrt. Dazu gehört unter anderem auch das sanfte Auspeitschen der durch die Hitze aufgeweichten Haut mit einem gebundenen Büschel aus Birkenzweigen – Vihta oder Vasta genannt. Sinn und Zweck dieser Beautybehandlung ist, dass die oberen Hautschichten entfernt und die gereinigte Haut massiert wird.
Moltebeeren für Jedermann. Nicht nur auf oder im Wasser, auch im Wald ist die finnische Seele zuhause. Kein Wunder, etwa 65 Prozent des Landes sind mit Kiefern, Fichten und Birken bedeckt. Die grüne Farbe beruhigt, das leise Rauschen der Blätter und Nadeln klingt wie Musik. Im Wald fühlt sich der Finne wohl: Wandern im Sommer, Skilanglauf im Winter oder einfach nur Beeren und Pilze sammeln. Über 20 verschiedene essbare Beerenarten wachsen wild in den finnischen Wäldern. Dank des Jedermannsrechts (jokamiehenoikeus) dürfen wildwachsende Früchte nach Belieben gepflückt werden – sogar auf Privatgrundstücken und in Naturschutzgebieten.
Wer einen finnischen Heidelbeerkuchen (mustikkapiirakka) backen möchte, geht also nicht in den Supermarkt, sondern in den Wald und bedient sich nach Lust und Laune an den 500.000 Tonnen, die dort jährlich wachsen. Neben Preisel- und Heidelbeeren ist Finnland vor allem für seine Moltebeeren (Lakkoja) bekannt. Die gelben, himbeerähnlichen Früchte werden auch als Gold Finnlands bezeichnet und haben ein außergewöhnliches, leicht bitteres Aroma. Mit Chili, Ingwer, Honig und Apfelessig lässt sich aus ihnen ein leckeres Chutney zaubern. Serviert wird es am Besten zu geräuchertem Rentier- oder anderem Wildfleisch.
Bis zum Schluss natürlich genießen. Wer zum Nachtisch Lust auf eine Ohrfeige hat, kann sich diese problemlos mit einer Korvapuusti einholen. Dahinter versteckt sich trotz der wörtlichen Übersetzung aber keine Backpfeife, sondern ein leckeres Zimtbrötchen, welches Finnen gerne zu einer Tasse Kaffee (kahvi) genießen. Dieser nimmt in Finnland eine ganz besondere Stellung ein, denn mit Kaffee fängt alles an, hört alles auf und zwischendurch trinkt man auch noch reichlich davon. Seit Jahrzehnten gehören die Finnen zu den weltbesten Kaffeetrinkern. Nach Angaben des Internationalen Kaffeeverbands konsumieren sie pro Kopf und Jahr zwölf Kilo des aromatischen Heißgetränks. Seine „Kaffepaussi“ (zweimal eine Viertelstunde pro Arbeitstag) genießt jeder Finne in vollen Zügen. Finnischer Kaffee besteht häufig aus hell gerösteten Bohnen und schmeckt etwas säuerlich. Er ist manchmal so stark, dass sogar Italiener über Magenschmerzen klagen. Dagegen hilft nur noch ein hausgemachter Hagebutten- oder Preiselbeer-Wachholder-Schnaps. Kippis!
Buchtipp: Das „Sauna-Kochbuch – vom Aufguss zum Hochgenuss“ beweist, dass eine Sauna mehr kann als Menschen zum Schwitzen zu bringen. Mit ihren Porträts der schönsten und schrägsten Saunen Finnlands machen Katariina Vuori und Janne Pekkaladie Lust auf gemeinsame Saunaabende mit Freunden und mit ihren 90 Rezepten Hunger auf leckere Ofengerichte – simpel und auch ohne Sauna realisierbar. Erschienen im btb Verlag 2018, um 20 Euro.
Text: Anna Karolina Stock
Fotos: Beeren Wald (c)Harri Tarvainen Visit Finland; Cover Sauna Kochbuch btb Verlag; Fisch Lagerfeuer (c) Elina Manninen Keksit Visit Finland; Fisch (c) Elina Manninen Keksit_Visit Finland; Food (c) Julia Kivelä Visit Finland; Karelian Pies (c) Raita Kuwahara Visit Finland; Moltebeeren (c) Hannu Laatunen Vastavalo VisitFinland; Picknick (c) Elina Manninen Keksit Visit Finland; Sauna outside (c) Visit Finland