Der 200. Geburtstag von Königin Victoria am 24. Mai 2019 steht kurz bevor …  Ein guter Anlass, sich diese Frage zu stellen. War sie eine prüde, ihren eigenen Kindern gegenüber ablehnende, nach dem Tod ihres geliebten Ehemanns Prinz Albert in Trauer versunkene und nicht mehr an der Welt interessierte Frau? War sie freiheitsliebend, machtbewusst und hochgradig emotional?

Julia Baird lässt in „Queen Victoria“ die epochale Herrscherin selbst sprechen – und stellt uns so eine ganz andere Frau vor: lebenslustig, freiheitsliebend und machtbewusst. Der Band ist im September 2018 bei wbg Theiss erschienen.

Julia Baird

Baird stützt sich zum einen auf zahlreiche Zitate aus der umfangreichen Korrespondenz der Königin und ihren privaten Aufzeichnungen – sie hatte unter anderem Zugang zu den Royal Archives. Darüber hinaus präsentiert sie zahlreiche Äußerungen von Zeitgenossen, von Mitgliedern der königlichen Familie, des Hofstaats und der Regierung über Staatsmänner und Künstler bis zu Journalisten. Die australische Historikerin und Journalistin, die sich schon in ihrer Doktorarbeit mit der Wahrnehmung von Frauen in der Politik beschäftigte, zeichnet Victoria in ihrem Buch in vieler Hinsicht als unviktorianisch. So hasste sie etwa religiöse Engstirnigkeit, genoss Sexualität und behauptete sich in einer männerdominierten Welt. Deutlich wird, wie wichtig die oft impulsive Emotionalität der britischen Königin für ihr Handeln war: Sie rebellierte, wenn man sie kontrollieren wollte, war leidenschaftlich, liebevoll und großherzig, aber auch nachtragend, hadernd und selbstzentriert.

Zu den historischen Fakten: Mit der Thronbesteigung Victorias am 20. Juni 1837 endete aufgrund des im Königreich Hannover geltenden Salischen Gesetzes, das Frauen von der Thronfolge ausschloss, die seit 1714 bestehende Personalunion zwischen Großbritannien und Hannover. Während der folgenden 63-jährigen Regierungszeit Victorias erreichte das Britische Empire den Höhepunkt seiner politischen und ökonomischen Macht, die Ober- und Mittelschichten erlebten eine beispiellose wirtschaftliche Blütezeit (Viktorianisches Zeitalter). Prägend für ihre Regentschaft waren der Einfluss ihres Ehemannes Albert von Sachsen-Coburg und Gotha sowie ihr nahezu vollständiger Rückzug aus der Öffentlichkeit nach dessen Tod 1861. Insgesamt interpretierte Victoria ihre Rolle als konstitutionelle Monarchin sehr eigenwillig und durchaus selbstbewusst. Mit einer Regierungszeit von insgesamt 63 Jahren, sieben Monaten und zwei Tagen war Victoria die am längsten amtierende britische Monarchin, ehe sie am 9. September 2015 von Elisabeth II. übertroffen wurde. Aufgrund ihrer zahlreichen Nachkommen erhielt sie den Beinamen „Großmutter Europas“; sie ist beispielsweise sowohl Ururgroßmutter der aktuellen Königin Elisabeth II. als auch von deren Ehemann Prinzgemahl Philip, Duke of Edinburgh. Der Tod Victorias beendete die Herrschaft des Hauses Hannover, die mit der Thronübernahme ihres ältesten Sohnes Eduard VII. auf das Haus Sachsen-Coburg und Gotha überging (ab 1917 umbenannt in Haus Windsor).

Mit Victoria lässt Baird zugleich den rasanten politischen, wirtschaftlichen, technologischen und kulturellen Aufschwung ihres Zeitalters lebendig werden: Als die Frau an der Spitze des britischen Empire am 22. Januar 1901 nach mehr als 63 Jahren auf dem Thron starb, war sie Herrscherin über ein Viertel der Weltbevölkerung.

Julia Baird hat Geschichte an der Universität Sydney studiert und 2001 über Politikerinnen und die Medien promoviert. Seit 1998 ist sie außerdem journalistisch und als Autorin tätig. Baird moderiert die Nachrichtensendung „The Drum“ des australischen Senders ABC TV und schreibt unter anderem Kolumnen für den Sydney Morning Herald und die International New York Times.

 

Julia Baird Queen Victoria
Das kühne Leben einer außergewöhnlichen Frau. Aus dem Englischen von Hans Freundl und Maria Zettner.
Hardcover mit Schutzumschlag, ca. 608 Seiten.
wbg Theiss, ISBN: 978-3-8062-3784-9
€ 34,00 [D]

 Fotos: Baird, Julia (c) Alex Ellinghausen; Cover: wbg Theiss; Einbandmotiv: Queen Victoria, GEMÄLDE 1843 v. Franz Xaver Winterhalter – Royal Collection Trust (c) Her Majesty Queen Elizabeth II, 2018 / Brigdgeman Images