Eine Reise, die klingt und alle Sinne anspricht? Kommen Sie mit … „Großes Kino“ haben wir schon in Erfurt erlebt – die Carmen des Domstufen-Festivals klingt nach, doch weiter geht es ins „Herz Deutschlands“, in eine Stadt, deren Beinamen Programm ist: die Theaterstadt Meinigen – Vorhang auf!
Unterwegs in Thüringen in Etappen, Teil 2: Meiningen
Man erwartet sich viel, hier im Süden Thüringens, das aber nicht: Nach einer Fahrt durch den Thüringer Wald in dessen Vorland angekommen, im Westen die Rhön, kommen wir in ein Städtchen, das erwartungsgemäß eine noch von mittelalterlichen Wassergräben umschlossene Altstadt bietet, natürlich Fachwerkbauten, – und jetzt kommt das Aber – dazu gesellen sich ausgedehnten Parkanlagen und zahlreiche, mehr als imposante klassizistische Bauwerke.
Sie stehen in unmittelbarem Bezug zum städtebaulichen Wahrzeichen der Stadt: die ab 1682 entstandene Dreiflügelanlage des Schlosses Elisabethenburg, markantes Beispiel thüringischer Schlossbauten des Barock. Dort, wo einst die Herzöge von Sachsen-Meiningen residierten, befindet sich der Hauptsitz der Meininger Museen – die vor allem um ein Thema kreisen: das Theater! Denn, die Berühmtheit Meiningens über die Grenzen hinaus geht auf das Ende des 19. Jahrhunderts zurück, als der feingeistige, hochgebildete und künstlerisch begabte Herzog Georg II. von Sachsen-Meiningen (1826-1914) mit seinem Hoftheater europaweit Aufsehen erregte. Der Theaterherzog löste kulturelle Reformen aus – seine „Meininger“ sollten das moderne Regietheater begründen.
Ohne Meiningen kein Hollywood? Herzog Georgs II. war Theaterleiter, Regisseur, Bühnenbildner und Politiker in einer Person. Nicht wie üblich erfüllte er nur die Rolle des künstlerischen Ideengebers, er trug auch das gesamte finanzielle Risiko „seines Theaters“. Vor allem die Gastspielreisenie der „Meininger“ zwischen 1874 und 1890 erregten europaweites Aufsehen. Dafür ausschlaggebend waren auch die „Meininger Prinzipien“ wie z. B. Werktreue, Vorrang der Ensembleleistung, das Streben nach dem „Gesamtkunstwerk“. Selbst die Royal Shakespeare Company wurde nach dem Vorbild der „Meininger“ gegründet. Der russische Kult-Regisseur Konstantin Stanislavski entwickelte nach der „Meininger Spielweise“ seine Regiemethode, die Sergeij Eisenstein in Moskau und Lee Strassberg weiterführten. In Lees Actors Studio im Big Apple begannen Weltstars wie Al Pacino, Robert de Niro oder Dustin Hoffmann ihre Karrieren …
Im Theatermuseum treffen wir einen mit dem Theatervirus infizierten: Herr Kern, der uns in die Welt originaler Kulissen entführt. Die „Theaterkrankheit“ ist, nebenbei bemerkt, alles andere als ungesund, jedoch höchst ansteckend, und es kann leicht passieren, dass man sich von der Leidenschaft aufzehren lässt, mitreißen allemal – wie hier in den adaptierten ehemaligen Stallungen mit Reithaus. In jährlichen Wechseln stellt das Theatermuseum „Zauberwelt der Kulisse“ ein historisches Bühnenbild der „Meininger“ vor. Unterstützt durch moderne Licht-, Audio- und Vorführtechnik wird uns ein Museumserlebnis eröffnet, das einstige Bühnenwirkungen und damit die Erfolgsgeschichte der Schauspieltruppe des Meininger Hoftheaters nahe bringt.
Wesentliche Bestände der Meininger Hofbühne Georgs II. haben die Zeiten überdauert. Darunter phantastische Bühnenbilder aus der Coburger Werkstatt der Gebrüder Brückner, prachtvolle Kostüme und Requisiten. Einzigartig sind auch die eigenhändig gezeichneten Bühnenbild- und Kostümentwürfe des „Theaterherzogs“. Jede einzelne Dekoration – so etwa zum „Sommernachtstraum“ oder zu „Wilhelm Tell“ – ist in ihrer Präsenz atemberaubend. Tiefe, Farbwirkung und Detailtreue schaffen Illusionen, die uns auch noch heute in Erstaunen versetzen. Die 275 erhaltenen Dekorationsstücke sind der spektakulärste Teil dieser einzigartigen theatergeschichtlichen Sammlung. In jährlichen Wechseln stellt das Theatermuseum „Zauberwelt der Kulisse“ ein ausgewähltes historisches Bühnenbild der „Meininger“ vor.
Die Schauspieler des Meininger Hoftheaters bereisten samt Tross in 16 Jahren in einer logistischen Meisterleistung 38 europäische Städte, London und Odessa inklusive: Bei 2.591 Vorstellungen kamen 41 Werke verschiedener Meister, insbesondere Shakespeare und Schiller, zur Aufführung. Die aus 70 bis 80 Personen bestehende Reisegesellschaft führte bis 20 Waggons voller Dekorationen, Requisiten und Kostüme mit sich. In den Gastspielorten sorgten bei den Aufführungen die originalgetreuen prächtigen Kostüme, realistisch stimmige Kulissen und eindrucksvolle Massenszenen für Aufsehen …
Das Museum im Schloss Elisabethenburg mit einem vielfältigen Angebot an ständigen wie temporären Ausstellungen und einem reichhaltigem Veranstaltungsprogramm runden das Bild der Geschichte ab. Stuckaturen an Wänden und Decken, Wandbespannungen und prunkvolle Kachelöfen erzählen von einstiger höfischer Pracht. Für Kinder hält die Installation „Spielwelt Schloss“ neben anderen museumspädagogischen Projekten die Möglichkeit von spannenden Entdeckungsreisen zu höfischer Baukunst, Lebensweise und Kultur bereit.
Sehr gelungen! In zwei Räumen wird an die Meininger Prinzessin Adelheid erinnert, die als Queen Adelaide an der Seite ihres Gatten William IV. 1830 den englischen Königsthron bestieg.
In der oberen Etage wird mit den Ausstellungen zur Musik- und Theatergeschichte das wohl bedeutendste Kapitel des einstigen Meininger Musenhofes aufgeschlagen.
Und dann unbedingt ins Turmcafé im Schloss Elisabethenburg gehen, zu Kaffee und einem Stück Kuchen! Nicht Torte, Kuchen!
Während man in anderen Landesteilen schon immer auf die aus Frankreich stammenden Torten (frz. tarte) und süße Teilchen setzte, hat sich in Thüringen der einfache Blechkuchen erhalten. Bis heute setzt sich diese Tradition in regionalen Besonderheiten fort. Zum Glück!
Noch mehr GENUSS: Nach Kultur und Kulissen genießen wir im Solewerk Hotel Sächsischer Hof wir Thüringer Spezialitäten wie Rindsrouladen und „Hütes“, die original rohen Kartoffelklöße nach Meininger Art, – auf Haubenniveau! www.saechsischerhof.com
Noch mehr theatralische Infos im Detail: www.meiningermuseen.de
Fotos: Schloss Elisabethenburg in Meiningen Luftaufnahme: Alexander Michel / Thüringer Tourismus GmbH; Elisabethenburg Front: Maik Schuck / Thüringer Tourismus GmbH; Blechkuchen: Andreas Weise / Thüringer Tourismus GmbH; Theater by night: H.-P. Szyszka / Tourismusverein Meiningen; Elisabeth Stadlbauer